Datum: 38/2005
Fotos: John Akehurst
Neue Grüne Welle
Es blüht und sprießt in deutschen Badezimmern: Aus Angst vor zu viel
Chemie im Tiegel greifen immer mehr Frauen zu NATURKOSMETIK und bescheren den
Herstellern hohe Wachstumsraten. Doch ist Bio wirklich besser?
Fragt man Yutaka Aoki, ob er sich vorstellen könnte, Naturkosmetik zu entwickeln, zeigt der japanische Wissenschaftler des Luxuscreme-Herstellers Kanebo ein mildes Lächeln und erklärt höflich, aber vernichtend: "Sicher nicht. Das wäre für uns ein Rückschritt." Und im Prinzip könnte er Recht haben: Moderne High-Tech-Cremes imitieren die Natur in perfekter Weise. Was Blumen, Gräser und Bäume an Wirkstoffen beinhalten, wird längst extrahiert oder im Labor synthetisch nachgebildet - chemisch rein und effizient.
Doch paradoxerweise entscheiden sich im Zeitalter der Hochleistungskosmetik immer mehr Frauen gegen den Fortschritt und für den Ursprung.Während der Umsatz konventioneller Cremes seit Jahren stagniert, legte die Wald-und-Wiesen- Pflege in den vergangenen 18 Jahren um durchschnittlich 50 Prozent im Jahr zu. Bis vor kurzem noch als "ökig" belächelt, interessiert sich nun jede zweite Frau in Deutschland für pflanzliche Produkte. "Gepflegte Naturbewusste" nennt der Branchenreport "Naturkosmetik 2004" die neuen Blumenkinder.
Woran das liegt? Viele Verbraucher lassen die regelmäßigen Lebensmittelskandale und die steigende Zahl von Allergien nicht nur zum Bio-Brot, sondern auch zur Öko-Creme greifen.
Horrorberichte über die Pickel-Creme von Uschi Glas verunsichern genauso wie eine englische Studie von 2004, die behauptete, Parabene in Kosmetik könnten Krebs auslösen. Das "Ökotest"- Abo ist sowieso ein Newsticker für schlechte Nachrichten über Synthetik. Kein Wunder also, dass einige Frauen nicht mehr ganz so beherzt in den Chemie-Tiegel langen.
Gern betonen die Bio-Kosmetik-Hersteller daher ihre Naturverbundenheit:
Bei der Pflanzenpflege-Firma Elektrobio, Hersteller der leicht angestaubten Klassiker Neobio und Heliotrop, erzählt man sich die Anekdote, wie der ehemalige Inhaber bei einer Händlerveranstaltung einen Schluck seiner Lotion Rosé nahm, um zu demonstrieren, wie unschädlich diese sei. Heute hat Naturkosmetik so was nicht mehr nötig: Das neue Elektrobio- Produkt Aquabio steht nicht im Reformhaus, sondern in der Apotheke.
Damit die Generation der schicken Bio-Boomer ausreichend Schmierstoff in den Regalen findet, sind in den vergangenen Jahren unzählige neue Tiegel, Tuben und Spender auf dem deutschen Markt aufgetaucht. Die Kosmetik der australischen Marke Aesop gibt sich mit braunen Apothekerfläschchen und Aluminium-Tuben medizinisch. Beim Auftragen kommt so ein geradezu therapeutisches Gefühl auf. Eine weitere Arzneimittel-Anspielung liefert die Marke "Patyka" - übersetzt heißt das "Apotheke". Ein ehemaliger Body-Shop- Mitarbeiter entdeckte die 83 Jahre alten Rezepturen aus Ungarn vor einigen Jahren wieder und lässt sie nun in Frankreich herstellen.
Tatsächlich aus einer homöopathischen Apotheke stammen Korres Natural Products. Der Geruch der Lotionen ist gewöhnungsbedürftig - aber vielleicht helfen die schick designten Verpackungen und der Gedanke an weiße Rosen aus Athen über den penetrant süßlichen Auftritt hinweg.
EINEN GANZEN BILDERSTROM lösen die Öle und Cremes von Susanne Kaufmann aus. Wer an ihnen schnuppert, glaubt die ganze Pflanzenwelt des Bregenzerwaldes im Glas zu haben. Eher was fürs Auge sind die porzellanartigen Flaschen der australischen Marke Jurlique mit hellblauem Schriftzug und dem unbescheidenden Werbeslogan "The purest Skin Care on Earth". Sie machen sich besonders gut vor weißen Badezimmerkacheln.
Eines haben fast alle diese neuen Lifestyle-Cremes gemein: eine prominente Fangemeinde. In Hollywood gehört Pflanzen-Pflege derzeit zum guten Teint. Nicole Kidman und Kate Moss hübschen sich mit Aesop auf, Drew Barrymore und Victoria Beckham riechen nach Korres, und Pierce Brosnan cremt mit Jurlique.
Ole Henriksen, ein Däne mit Spa am Sunset Boulevard, wird in Interviews nie müde, von seinen berühmten Zugpferden zu erzählen: So zählen Charlize Theron, Naomi Campbell und Renée Zellweger zu den Kunden des Promipflegers.
Doch was macht eine Creme eigentlich zu einer Bio-Lotion?
Streng genommen dürfen in ihr keine synthetischen Konservierungs-, Duft- oder Farbstoffe enthalten sein. Auch Silikonöle, Paraffine oder andere Erdölprodukte sind tabu. Tierversuche sowieso. Nicht jeder Hersteller folgt den Regeln: Die "Natural Products" von Korres etwa duften und konservieren auch in kleinen Mengen synthetisch. Der Begriff Naturkosmetik ist rechtlich nicht geschützt, weshalb jeder, der ein, zwei Pflanzenextrakte in die Synthetik rührt, sein Gemisch mit dem Stempel "Bio" etikettieren kann. Um sich von diesem Wildwuchs abzugrenzen, initiierten Pioniere wie Dr. Hauschka und Weleda 2001 das Prüfzeichen "Kontrollierte Natur-Kosmetik", welches vom zuständigen Bundesverband vergeben wird. Es garantiert, dass die Siegelträger ihre Rohstoffe möglichst aus biologischem Anbau oder Wildsammlungen beziehen, dass die Produktion umweltverträglich ist und dass radioaktiv bestrahlte sowie genmanipulierte Stoffe nicht verwendet werden.
Ob Bio am Ende tatsächlich besser wirkt, ist umstritten. "Naturkosmetik ist der konventionellen Kosmetik in keiner Weise überlegen", sagt auch der Münchner Dermatologe Hans-Peter Schoppelrey und fügt hinzu: "Synthetisch hergestellte Kosmetik ist reiner und häufig besser untersucht." Auch sein Kollege Matthias Augustin von den Hamburger Universitätskliniken glaubt nicht an die Vermutung, dass bei synthetischen Produkten die Chemie in den Körper wandere und so dem Organismus schade. "Dafür gibt es überhaupt keine Anzeichen", so Augustin.
Steffi Schindler, die Leiterin der Forschung und Entwicklung bei Elektrobio, hält dagegen: "Obwohl abgesicherte wissenschaftliche Beweise über die Schädlichkeit beim Menschen noch nicht vorliegen, meiden wir zum Beispiel Parabene - allein schon wegen der möglichen allergischen Reaktion auf diese Konservierungsstoffe."
Fest steht allein: Natürliche Cremes sind eine gute Alternative für alle, deren Haut künstliche Duft- und Konservierungsstoffe nicht verträgt. Sie kosten auch selten mehr als konventionelle Mittel. Aber nur weil "Natur" auf einem Tiegel steht, heißt das nicht, dass der Inhalt unbedenklich ist. Bei manchen Menschen lassen auch Arnika, Johanniskraut oder Wollwachsalkohole die Ausschläge sprießen. Die grüne Welle sollte also nicht alle High-Tech- Cremes aus dem Badezimmerschränkchen schwemmen.