Nennt mich Monet!
Gut kopiert ist besser als schlecht selbstgemacht. Aber gilt das auch für die Malerei? Unsere Autorin Sandra Winkler versuchte sich als Gemäldekopistin – und verlor alle Hemmungen. Künstlerisch natürlich
Wenn ich in unsere Abstellkammer gehe, komme ich geknickt zurück. Zwischen Apfelsaft-Kisten und Putzmitteln wartet dort seit Jahren eine Leinwand darauf, bemalt zu werden. Das sollte schon vor Ewigkeiten passieren. Eine fixe Idee, ein Geburtstagsgeschenk für meinen Freund.
Dazu muss man wissen, dass ich neue Herausforderungen liebe. Nicht so sehr, mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen oder mit einem Seil an den Füßen von einer Brücke zu stürzen. Aber ich lerne gerne, nehme Gesangsunterricht, beginne mit Boxtraining. Ich habe meinem Freund auch mal einen Schal gestrickt, so lang, dass er seinen ganzen Körper damit umwickeln könnte wie eine Mumie. Ich probiere Dinge, die ich noch nie gemacht habe, um herauszufinden, wie sich das anfühlt und ob mir das irgendetwas bringt. Und so schwer kann es doch nicht sein, ein Bild zum Geburtstag zu malen, dachte ich damals. Ein wenig kreatives Blut fließt doch bei uns allen durch die Adern, und endlich zahlt sich der Leistungskurs Kunst zu Schulzeiten mal aus. Außerdem: Wer stand noch nicht im Museum vor einem Kunstwerk und murmelte heimlich: Na, das hätte ich aber auch gekonnt … Also.
Ich kaufte eine große Leinwand, 120 x 80, und stellte sie ins Wohnzimmer – zwei Wochen später räumte ich sie in den Flur, dann in die Abstellkammer, wo sie seitdem unberührt ihr Dasein fristet. Ich traute mich nie an sie heran, zu furchtbar die Vorstellung, am Ende ein Bild in den Händen zu halten, das aussieht wie das Gekrakel einer Dreijährigen.
Dieses Experiment kommt mir also gerade recht. Ich werde an einem Workshop im Berliner „Malsalon“ teilnehmen. In knapp drei Stunden malen die Teilnehmer dabei ein berühmtes Meisterwerk nach: Van Goghs Sonnenblumen oder Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrgehänge. Ganz nach dem Motto: Gut kopiert ist besser als schlecht selber gemalt.
An einem Samstagnachmittag versammeln sich mit mir neun Frauen in einem kleinen Atelier im Prenzlauer Berg. Und ein Mann, der seiner Freundin den Kurs geschenkt hat und sie begleitet.
Zuerst macht sich jede auf die Suche nach ihrem Motiv. Mit Johanna, die mit ihrer Schwägerin den „Malsalon“ gegründet hat und eigentlich Architektin ist, betrachte ich bereits nachgemalte Meisterwerke, die hier im Atelier ausgestellt sind.
Gerade denke ich, dass es doch irgendwie peinlich wäre, sich so eine Kopie zu Hause aufzuhängen, als Johanna sagt, dass viele Teilnehmer ihr Motiv danach aussuchen, was farblich in ihr Wohnzimmer passt … Jedes Motiv bietet eine andere Art von Herausforderung, erklärt Johanna: Die Mandelblüte von Vincent van Gogh sei zum Beispiel ein Fleißbild mit vielen kleinen Details. Solche figürlichen Darstellungen von Blütenkelchen und Baumrinde machten weniger Spaß als etwas aus der Zeit des Expressionismus. Da könne man auch mal „dreckig malen“.
Mir gefallen Claude Monets Seerosen, für die man ordentlich Farbe auftragen muss, mehrere Schichten. Außerdem hat der Künstler dieses Meisterwerk in seinem Garten gemalt, als er unter grauem Star litt und alles nur wie durch einen Nebelschleier sah. Da bin ich mit zwei gesunden Augen schon mal im Vorteil.
Ich setze mich an einen der langen Tische. Vor mir steht eine Mini-Staffelei, darauf eine kleine Leinwand, hinter mir Sabine. Sabine ist Malerin, sie coacht uns heute. Das Prinzip ist einfach: Für die Motive gibt es eine Schablone, grobe Umrisse, die man mit einem Stift durch eine Blaupause auf die Leinwand drückt. Dazu bekommt man eine Karteikarte mit dem Foto des Originals. Im Grunde wie Malennach-Zahlen, mit dem ich schon als Kind Pferdeköpfe und kuschelnde Kätzchen auf kitschigen Sofas ausgemalt habe. Zugegeben, das klingt wenig kreativ. Aber meine Abstellkammer-Erfahrung hat mich bescheiden gemacht.
Ich zeichne die sehr groben Formen der Seerosenblätter, Wasser- und Algenflächen nach. Sabine quetscht derweil Kleckse von Acrylfarben aus den Flaschen auf ein Stück Pappe und erklärt mir das Bild, indem sie es vor meinen Augen in seine einzelnen Bestandteile zerlegt: Ich soll grundieren, erst die blauen, dann die grünen Flächen. Darüber kommen die horizontalen und vertikalen Striche, die Schattierungen von Wasser und Algen. Es folgen die eher türkisfarbene Seerosenblätter und ganz zum Schluss die rosafarbenen Seerosen. Klingt simpel.
Der erste Strich kostet mich trotzdem wieder Überwindung. Die schöne Leinwand! Aber was kann schon schiefgehen, beruhige ich mich. Ich grundiere fröhlich drauf los. Schaue nach links auf die Vorlage, nach rechts auf mein Bild. Der Begleit-Mann, der mir gegenüber sitzt, hat derweil seine malende Freundin im Blick: „Das macht dir Spaß“, kommentiert er. „Deine Augen leuchten richtig.“ Ob meine Augen leuchten, weiß ich nicht. Aber ich fühle mich plötzlich sehr künstlerisch. Und tatsächlich auch kreativ. Denn es gibt mehr Entscheidungen zu treffen, als ich dachte: Nehme ich lieber einen weichen, dicken oder einen härteren, dünnen Pinsel? Ziehe ich den Strich lang oder kurz? Tupfe oder streiche ich? Und wie mische ich mir die Farben zusammen? Ich muss mich entscheiden, ob ich die Seerosen eher knallig oder erdig malen will. Denn wie genau das Original aussieht, gibt kein Foto oder Druck wieder. Da müsste ich schon in die Neue Pinakothek nach München fahren, wo es hängt.
Mit der zweiten Schicht beginnt dann das Dilemma. Ich tupfe hier, tupfe da, mische wahllos die Farben – und fühle mich planlos. Was hat der Monet denn da Dunkles ins Wasser gemalt? Soll das ein Blatt sein? Oder zwei? Kopieren erscheint mir schwieriger zu sein, als etwas Eigenes zu malen. Denn wer etwas Neues schafft, also wirklich kreativ ist, kann ja nichts falsch machen. Man malt, was man will und verkauft es im besten Falle sogar als etwas ganz Besonderes.
Kurz vor Ende der zweiten Stunde merke ich, dass mir meine Monet-Kopie überhaupt nicht gefällt. Ich schaue zu meiner Nachbarin hinüber. Sie malt Die große Welle vor Kanagawa des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai. Im Original ein Farbholzschnitt und in meinem Empfinden ein eher comicartiges Motiv, mit klaren Linien und Flächen, die man nur ausfüllen muss. Meditativ findet sie das Malen, sagt die Projektmanagerin, pinselt entspannt und hingebungsvoll weiter. Was sie da macht, diese Fleißarbeit, erinnert mich an Bilderbücher für Erwachsene, an denen sich gerade so viele abarbeiten. Selbst meine Mutter hat damit angefangen und sich extrafeine Stifte zum Geburtstag gewünscht. Ich dagegen bin wenigstens kreativ. Am Ende werden es meine Seerosen sein. Ich gehe zum Angriff über, habe keine Lust mehr mich an Monets Vorbild abzuarbeiten. Weg damit! Jetzt male ich!
Sabine gibt mir dann noch eine kurze Kostprobe davon, wie es aussieht, wenn ein echter Könner malt. Der Lichteinfall käme auf diesem Bild von links oben, erklärt sie und zieht mit wenigen Pinselstrichen elegant ein Blatt nach, mischt einen helleren Ton und setzt ihn darauf. Mit einem dunkleren Ton unterstreicht sie gekonnt das Blatt, damit es optisch hervortritt.
Nach drei Stunden beende ich das Bild, indem ich die rosa Blüten darauf setze. Und mit Abstand betrachtet, wenn man ein paar Schritte zurücktritt, sieht es ganz okay aus. Beruhigt fahre ich nach Hause, lehne mein Werk dort an die Flurwand.
„Mama, hast du das etwa gemalt?!“, fragt mich meine Tochter mit Blick auf meine Seerosen und ist so begeistert, als hätte ich das achte Weltwunder erschaffen. Ich bin gerührt – und ein wenig stolz. Nachdem der Kopierkurs mich auf den Boden meiner künstlerischen Tatsachen zurückgeholt hat, habe ich jetzt so richtig Lust auf mehr Gepinsel, Getupfe und Gekleckse. Ich werde meine Leinwand aus der Abstellkammer befreien. Diese schöne, weiße Leinwand.