Barbara

Datum: 19/2017

Druckansicht

Barbara_Glueck-1-5afc8c622d.jpg

Das fehlte noch zum Glück

Gutes kann einem ständig geschehen. Anders ausgedrückt: Es ist nie zu spät für erfreuliche Begegnungen und Wendungen. Manchmal muss man dafür aber auch etwas wagen

ÜBER UMWEGE ZUM TRAUMJOB
Judith Heimann, 47, fand ihren Traumberuf über einen Umweg

Mein Großvater, zu dem ich eine enge Bindung hatte, war Landwirt, Pflanzenzüchter und Imker. Wahrscheinlich habe ich seinetwegen Agrarwissenschaften studiert. Leider gab es damals keine Scholle, die ich hätte erben können – und als Frau findet man auf dem Land wenig Akzeptanz. So bin ich am Schreibtisch gelandet und habe 15 Jahre lang über landwirtschaftliche Themen geschrieben. Für einen Auftrag musste ich mal über Bienen recherchieren und war so fasziniert, dass ich mir 2013 meine ersten Bienenstöcke kaufte. Heute ist es mein Vollzeitjob, in dem ich auch Bienenstöcke vermiete und Vorträge halte. Der Beruf ist körperlich anstrengend, aber mit und in der Natur zu arbeiten, fühlt sich einfach richtig an. Ich bin dort, wo mein Herz immer hin wollte.


MUSIK IM LEBEN
Jesta Brouns, 47, spielt jetzt täglich Saxophon

Schon als Kind wollte ich Saxophon spielen. Aber im Schulorchester war nur die Geige frei. Die habe ich gehasst und nach einem Jahr wieder damit aufgehört. Mir war klar, dass man ein Instrument nicht nebenher lernt. Den Wunsch hegte ich dennoch. Als meine Lebensgefährtin mir im Januar ein Saxophon schenkte, habe ich mir einen Lehrer gesucht. Ich spiele jeden Tag, sogar im Urlaub. Als Kind übt man vielleicht, weil die Eltern Druck machen oder man eine zweite Candy Dulfer werden möchte. Jetzt spiele ich nur für mich, bin aber auch kritisch mit mir – mit zunehmendem Alter ist Lernen der Horror. Trotzdem: Mein Saxophon ist der beste Ausgleich zu meinem Job. Als Leiterin der Hamburger Design Factory treffe ich den ganzen Tag Entscheidungen. Zum Spielen muss ich durchatmen und meine Mitte finden.


WIEDER ZU ZWEIT
Karin, 75 und Paul Ferdinand, 88, haben sich im hohen Alter verliebt

Vor zwei Jahren trafen wir uns auf dem Parkplatz eines Krankenhauses. Wir hatten uns über 30 Jahre nicht gesehen, kannten uns aber aus dem Tennisclub. Unsere Partner waren beide schwerkrank. Einen Monat später starb mein Mann, kurz darauf Paul Ferdinands Frau. Auf ihrer Beerdigung wirkte dieser stattliche Mann so gebrochen, dass ich ihm vorschlug, doch mal zu telefonieren. Ich selbst fühlte mich damals einsam, trotz meines großen Freundeskreises. Wir trafen uns einige Male, irgendwann sprang der Funke über. Wir wohnen nicht zusammen, aber jeden Morgen zwischen 7:30 und 8:00 Uhr ruft er mich an und sagt: „Guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?“ Das tut unendlich gut.


DOCH NOCH MUTTER WERDEN?
Annemarie Ballschmiter, 46, fand unerwartet einen Familienmann

Die Vorstellung, ohne Kinder alt zu werden, mochte ich nie. Aber ich wollte nicht nur ein Kind, sondern den richtigen Mann dazu. Ich wurde 40 – und schloss mit dem Thema ab. Ein Jahr später fuhr ich nach Tansania und lernte Steve kennen, den Manager der Lodge, in der ich wohnte. Wir mochten uns sofort. Er besuchte mich, ich besuchte ihn. Und dann schlug er auf einmal das Projekt „Baby“ vor. Ich war völlig überrascht. Er war ja schon 59. Ich dachte darüber nach, besorgte mir Bücher über späte Eltern, sah Dokumentationen. Als Steve wieder bei mir war, beschlossen wir, es zu versuchen. Nach fünf Monaten war ich schwanger. Heute wohnen wir zu dritt in Berlin. Und wenn ich heute meinen dreijährigen Sohn herumtoben sehe, denke ich: Was für eine tolle Wendung.


ICH LIEBE JETZT LIEBER ANDERS
Catherine Westphal, 33, liebt nun Frauen

Vor drei Jahren hatte ich eine Art Midlifecrisis und fragte mich: Soll das alles sein? Ich lebte mit meinem Mann, mit dem ich elf Jahre zusammen und sechs davon verheiratet war, wie in einer WG. Alle drei Monate hatten wir Sex, alles war sehr eingefahren. Ich trennte mich. Die Einsicht, dass ich auf Frauen stehen könnte, traf mich dann wie ein Blitz. Meine damalige Chefin ist lesbisch und ich wollte wissen, wie sie küsst. Das habe ich ihr gesagt. Ein Jahr waren wir zusammen. Und da wusste ich, hier bin ich richtig. Mit Frauen war es bisher so, als hätte ich den besten Sex meines Lebens mit der besten Freundin – und war dabei auch noch verliebt wie nie. Zurzeit bin ich Single, erlebe meine zweite Pubertät und probiere mich aus. Ich bin dankbar dafür, dass wir in einer Zeit und Gesellschaft leben, in der ich der Mensch sein darf, der ich wirklich bin.


IM GLAUBEN ANGEKOMMEN
Uwe Welp, 61, entdeckte Gott für sich

Religion war mir immer fremd. In den 1970er-Jahren war ich ein ziemlich linksradikaler Typ, der die Kirche abgelehnte und gegen Papst Paul VI demonstrierte. Doch als mich meine Frau, eine Katholikin, vor 20 Jahren fragte, ob wir nicht auch kirchlich heiraten könnten, habe ich mich zum ersten Mal mit dem Glauben auseinandergesetzt. Ich las die Bibel und massenhaft Bücher, auch darüber, was Naturwissenschaftler zum Glauben sagen. Ich hinterfragte, so wie ich das als kritischer und aufgeklärter Mensch schon immer getan habe – und konnte viel Wahres für mich finden. Heute sehe ich in der Beziehung zu Gott die Grundlage meines Lebens. Der Gottesdienst ist ein Highlight der Woche. Meine politische Haltung aber bleibt, ich bin etwa ein Befürworter der Ehe für alle, finde es wichtig, in der Kirche meine Meinung zu sagen. Auch wenn sie manchmal anders ist.


EIN GEWAGTER TAPETENWECHSEL
Gitta, 62, und Wolf Auerbach, 74, sind in die Großstadt gezogen

Den Gedanken, in eine Großstadt zu ziehen, hatten wir schon vor 40 Jahren. Doch immer kam etwas dazwischen: die Kinder, der Beruf, später konnten wir die Eltern nicht allein in Heilbronn lassen. Als Wolf vor zehn Jahren pensioniert wurde, wollte er endlich unser Häuschen mit Garten genießen. Eine Übergangsfrist von fünf Jahren hat er bei mir herausgehandelt – aber 2013 sind wir nach Berlin gezogen. Im ersten Jahr sind wir beide lächelnd und staunend durch die Straßen gelaufen. Ständig entdecken wir etwas Neues. In den Kinos wird nicht sechs Wochen lang derselbe Film gezeigt, jedes Konzert hat Weltklasseniveau. Die Geschichte der Stadt überwältigt mich regelrecht. Es ist zwar hart, gute Freunde zurückzulassen, aber die kommen zu Besuch oder wir telefonieren. Und meine beste Freundin bearbeite ich, dass sie bald nachkommt.