How To Spend It

Datum: 7. September 2006
Fotos: Elke Ehninger

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Wo die Hyänen gähnen

Eine Nacht im Zoo von Singapur

Singapur – kein Ort, wo man lange allein sein könnte. Hier leben die Menschen doppelt so dicht wie in Berlin, die Straßenschluchten sind angefüllt mit hallendem Autolärm, hektischen Geschäftsleuten, deren Schlips auch abends noch im hektischen Stechschritt wippt, Touristen, die bis spät nachts in Shopping-Malls nach Schnäppchen jagen. Es gibt nur eine Möglichkeit, dem Vier-Millionen-Stadt-Gewimmel zu entkommen. Sie liegt 30 Autominuten vom Finanzviertel entfernt: Singapurs letztes Stück Regenwald.

Mit dem Öffnen der Wagentür steigt die Temperatur um gut zehn Grad, und die Luft umhüllt mich wie ein nasses Tuch. Statt der Stadt schlagen jetzt die Zikaden Krach. Es ist halb acht, schon dunkel, und gleich beginnt die Spätschicht für die Tiere des Zoos von Singapur: die „Night Safari“. Ein verschlungener Pfad führt mich durch das Gelände. Endlich allein. Mit Leoparden, Hyänen, Elefanten und Tapiren. Es ist dunkel. Die wenigen Lampen verstreuen nur Zwielicht auf dem engen Weg, der eingerahmt ist von Baumriesen. Mir fällt ein, dass ich in tropischen Ländern gern nachts das Licht anlasse, um zu wissen, was mir gerade aufs Bett krabbelt. Auch jetzt möchte ich auf einen Schalter drücken.

Nach der ersten Kurve stehe ich vor einer Lichtung und starre zunächst ins Nichts. Bis sich ein schwarzer Umriss abzeichnet, zwei Augen, eine Pfote, die ins Wasser patscht. Eine Fischkatze auf Beutezug. Nebenan flitzt eine aufgeregte Otterbande quiekend aus dem Teich. So etwas sieht man tagsüber im Zoo nicht mal zur Fütterungszeit. Dann sehe ich fünf Tüpfelhyänen. Nach den Löwen sind sie die größten Fleischfresser Afrikas – und keineswegs bloß Aasfresser. Allein oder in kleinen Gruppen zerlegen sie Antilopen, Gazellen und Zebras. Nur ein fast unsichtbarer Graben trennt sie und mich. Warum springen die buckeligen Fratzenträger also nicht mal schnell auf einen Snack vorbei?

Ich rede mir gut zu. Schließlich hätte man ja davon gehört, wenn der Zoo Singapurs dadurch seine Kosten reduziert, dass er nachts arglose Besucher verfüttert. Mein Respekt vor Tieren geht so weit, dass ich mir beim Anblick leinenloser Hunde automatisch die beste Bodenschutzhaltung überlege und beim Überqueren einer Wiese Schlagzeilen wie „Frau von wild gewordenen Kühen totgetrampelt“ im Kopf habe. Und nun lauern um mich herum ausgewiesene Fleischfresser, die ich nicht mal sehen kann. Ich fühle mich wie in „Jurassic Park“.

Endlich sehe ich zwei Aufseher. Die Aufseher kramen im Unterholz und werfen etwas in den angeleuchteten Teil des Geheges. Ein Leckerbissen. Fünf Hyänen sprinten aus dem Dunkeln nach vorn. Dann hallt ein Brüllen durch die Nacht. Die Zikaden verstummen. War das der Bär? Oder der Löwe? Überall Kreischen. Plötzlich raschelt es im Gebüsch, das kann unmöglich aus einem Gehege kommen. Ein frei laufendes Tier! Es ist eine Ratte. Sie läuft knapp an meinem Fuß vorbei. Jetzt kreische ich auch. Die unmittelbare Nähe von vier Millionen Menschen hat auch ihre Vorteile, kommt es mir vor.