REISEN

Datum: 5/2015

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Tausche Berlin gegen Los Angeles

Urlaub machen, wo andere wohnen – Sandra Winkler hat Haustausch ausprobiert und befürchtet nun ständig, eine tolle Reise zu verpassen

Ich liebe unsere Tür. Sie ist rosa. Und als Klingel hängen daneben fünf Glöckchen an Kordeln. Ich liege gerade in der Hängematte und beobachte wie eine Ozeanbrise kleine Wellen auf den dampfenden „Hot Tub“ bläst, während unsere Tochter und mein Freund Zitronen vom Baum pflücken, als die Glocken läuten. Vor der rosa Tür steht unsere Nachbarin Jennifer. Ihr kleiner Hund stürmt ins Haus, unsere Tochter hinterher. „Du musst auch mal meine Katze kennenlernen“, schlägt Jennifer ihr vor. „Sie heißt Ananda, so wie ein Cousin des Buddha.“ Jennifer ist Buddhistin – und genauso sanft und liebenswert, wie man sich Buddhisten vorstellt – und Nachbarinnen wünscht.

Hach, mein Leben ist toll! Schade nur, dass dies hier gar nicht mein Leben ist. Mein Freund, meine beiden Töchter und ich haben es uns nur geliehen, von Julia und Robert. Die beiden wohnen in einem kleinen Haus in Venice, Los Angeles. Normalerweise. Jetzt sind sie in unserer Wohnung in Berlin-Mitte. Denn wir haben getauscht.

Wir wollten nach Los Angeles – nicht nur für ein paar Tage, sondern gleich für vier Wochen. Und wir wollten nicht in ein Hotel. Weil wir uns nicht wie Touristen, sondern wie Kurzzeit-Einheimische fühlen wollten. Wie wäre es, in Los Angeles zu wohnen? In einer Stadt mit kilometerlangen Stränden und kilometerlangen Staus, Hollywood-Stars und kellnernden Möchtegernschauspielern, und in der es – meteorologisch und zwischenmenschlich gesehen – nie so kühl wird wie in Berlin.

Also haben wir unser Profil in eines dieser Netzwerke im Internet gestellt. Am sympathischsten und besonders vertrauenerweckend erscheint uns Homeexchange.com – wohl auch weil ein Bekannter dort seinen Zweitsitz, eine Villa in Potsdam, gelegentlich tauscht. Dazu schreiben wir, was wir suchen: Vier Wochen Los Angeles, am liebsten zwischen März und Mai. Zeitlich sollte man mit seinen Urlaubswünschen allerdings flexibel sein. Denn auch wenn Homeexchange damit wirbt, über 50.000 Häuser und Wohnungen in 150 Ländern zu vermitteln, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand genau dann Berlin besuchen möchte, wenn wir nach Los Angeles wollen?

In den nächsten Tagen bekommen wir viele Angebote. Man schlägt uns eine Altbauwohnung im Zentrum von Barcelona, eine Villa mit Meerblick in Kopenhagen und ein 300 Quadratmeter großes Haus in der Nähe von Vancouver vor, bei dem die Beschreibung „spektakulär“ nicht übertrieben ist. Das Haus hat einen beheizten Pool, Kamin, Veranda, Blick auf Berge und Meer – und wenn wir wollen, können wir auf ihren kleinem Hund aufpassen. Unsere Töchter würden das unbedingt wollen. Und die Leute ziehen dafür in unsere halb so große Wohnung in Berlin? Abzusagen fühlt sich absurd an. Aber wir wollen ja nach Los Angeles.

Also machen wir uns gezielt auf die Suche. Unter den Angeboten in L.A. finden wir „Sweet English-type cottage 20-minute walk from Venice Beach“ und schreiben einer Julia.

Sie und Mann Robert sind alte Haustausch-Hasen. Berlin hatten sie eigentlich gar nicht geplant, da sie aber im Mai zwei Wochen das Domizil mit einem Dubliner Paar tauschen – also ohnehin in Europa sind, könnten sie eigentlich auch gleich weiter nach Berlin. Und wo wir schon mal dabei sind, tauschen wir auch gleich die Autos und unsere Fahrräder. Klingt alles prima.

Doch dann geht das Kopfkino los: Sind Julia und Robert vielleicht gar nicht eine Anthropologin und ein Werbefilm-Regisseur aus Venice, so wie sie schreiben, sondern eine rumänische Einbrecherbande, die nur wissen will, wann sie ganz in Ruhe unsere Wohnung ausräumen kann? Das ist zumindest auch die Vermutung von Freunden, denen wir von unserem Vorhaben erzählen.

Dagegen sprechen die langen, netten Mails, die Julia uns schreibt. In denen sie fragt, was sie für uns einkaufen sollen, weil wir nach dem langen Flug sicherlich nicht gleich zum Supermarkt fahren wollen. Oder in denen sie anbietet, ein paar Spielsachen, ein Babybett und einen Kinderautositz von den Enkeln zu organisieren. Das müssten schon sehr engagierte Ganoven sein.

Trotzdem: Mein Freund fragt lieber mal bei Homeexchange nach. Haben wir irgendwelche Sicherheiten? „Nein“, sagt die Frau von der Hotline. Wir sollen uns darum besser nach einer Haftpflichtversicherung der anderen Seite erkundigen. Machen wir.

So richtig Vertrauen in die Sache gewinnen wir aber erst, als wir mit Julia und Robert im Internet skypen. Julia ist eine lustige 70-Jährige mit schneeweißen langen Haaren, die in der Beziehung definitiv die Hosen an hat, denn Robert winkt nur kurz in die Kamera und verschwindet dann im Hintergrund.

Bevor wir unsere Koffer packen, müssen wir jetzt noch Listen schreiben, eine kurze mit Lieblingsorten in unserer Nachbarschaft, und eine lange mit Erklärungen wie zum Beispiel der Gasherd und die Kaffeemaschine funktionieren, wo das Auto parkt und die Fahrräder stehen, und wohin der Müll gehört (man kommt sich schon sehr deutsch vor, wenn man versucht, Amerikanern Recycling und Mehrweg zu erklären). Dann räumen wir noch einen Kleiderschrank, eine Schublade in der Küche und im Bad leer – und dann kann es endlich losgehen.

In Los Angeles angekommen, übergibt uns eine Nachbarin den Schlüssel – und wir sind Hausbesitzer in Venice, mit allem was zum Leben in L.A. dazu gehört. „Don’t panic!“ begrüsst uns ein Schild an der Schlafzimmertür. Darunter die Erklärung, dass im Haus nachts manchmal dumpfe Geräusche zu hören sind. Das sei dann kein Erdbeben, wegen dem wir aus dem Bett springen müssten, sondern bloß die Wasseranlage.

In der Küche stoßen wir auf den gewohnten amerikanischen Größenwahn. Neben einem Kühlschrank, der so hoch und breit ist wie Arnold Schwarzenegger, steht ein sechsflammiger Herd mit gleich zwei Backöfen. Natürlich gibt es eine Mikrowelle.

Das kalifornische Öko-Engagement leben wir wie folgt aus: Während die eine Hälfte der Einwohner bullige Geländewagen fährt, pilgern wir mit der anderen Hälfte im Toyota Prius zum Bio-Supermarkt Whole Foods, den Julia empfohlen hatte. Nicht ganz dazu passt der „Hot Tub“, der im Garten ständig vor sich hin blubbert. Auch der riesige Wäschetrockner, der einen Haufen Handtücher in zehn Minuten „extra dry“ schleudert, ist nichts für ökologisch versierte Europäer.

Wenn wir nicht in unserem Haus oder im Garten sind, fahren wir an die Strände von Venice, Malibu, Santa Monica, Marina del Rey – und stehen viel im Stau. Wir schlendern den Abbot Kinney Boulevard entlang, machen Massen-Yoga auf dem Pier in Santa Monica, essen an Foodtrucks. Und mit dem Haus kehrt schnell eine gewisse Alltagsroutine ein: Müll rausstellen, die Mailbox leeren, Erdbeeren pflücken und essen, Pfirsiche ernten und für Julia einfrieren.

Als wir zurück in Berlin sind, sieht die Wohnung aus, wie wir sie verlassen hatten. Abgesehen von einer Schachtel Pralinen auf dem Esszimmertisch und einer Nachricht von Julia und Robert: „Das können wir doch vielleicht noch einmal machen“, schlagen die beiden vor. Vielleicht später. Das nächste Mal tauschen wir mit einer Familie in London. Die vier wohnen in Kensington, also mitten in der Stadt, in einem viktorianischen Häuschen mit kleinem Garten und jeder Menge Kinderspielzeug. Da konnten wir einfach nicht Nein sagen.