Brigitte MOM

Datum: 03/2015
Fotos: Sandra Semburg

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Gute Mütter

...halten Ärger von ihren Kindern fern. Sandra nicht: Sie streitet mit ihrem Mann, dass die Fetzen fliegen – auch vor den Kindern

Ganz nebenbei lässt der Mann beim Abendessen mit den Kindern fallen, dass er ja morgen nach der Arbeit diesen Termin hätte. Was?! Aber da bin ich doch seit Wochen verabredet. Hat er vergessen, sagt er. Ich spüre meinen Puls. Ob das denn so schlimm wäre? fragt er. Reflexartig balle ich meine Fäuste, atme sehr tief ein – und dann passiert, was passieren muss: Ich rege mich auf. Fürchterlich. Meine Augen werden zu schmalen Schlitzen, die Ader auf meiner Stirn schwillt an, meine Stimme wird hart und kalt: „Da habe ich ein einziges Mal etwas vor und du hast mal wieder einen furchtbar wichtigen Termin!“

Der Mann verteidigt sich. Wir beide werden laut, die Mädchen (eins und fünf Jahre) leise. Das fühlt sich nicht gut an, aber was meine Töchter von ihren aufbrausenden Eltern halten, darauf kann ich gerade einfach keine Rücksicht nehmen. Ich bin zu wütend.

Ja, wir streiten uns vor den Kindern. Auch wenn es aus pädagogischer Sicht in Krisensituationen wie diesen wahrscheinlich besser wäre, tief durchzuatmen und die Diskussion freundlich lächelnd auf später zu verschieben. Zumindest habe ich den Satz: „Eltern sollten sich nicht vor den Kindern streiten“ in meinem Leben schon öfter gelesen und gehört.

Auch von einer Bekannten. Sie stammt aus Kenia und meint, ein Grund, warum die Kinder in ihrem Land Eltern respektvoller gegenüber seien als die deutschen, läge unter anderem daran, dass man bei ihr Zuhause nicht vor den Kindern streite. „Und wie macht ihr das dann?“ fragte ich sie. Wir gehen zum Streiten ins Schlafzimmer.

Ich allerdings finde es verlogen, den Kindern vorzuspielen, man hätte sich als Paar immer nur furchtbar lieb und nie ein böses Wort zu sagen. Den Mann für ein Wortgefecht plötzlich aus dem Zimmer, weg von den Kindern und ans Ehebett zu zerren, um ihm die Meinung sagen zu können, käme mir albern vor – sowieso halte ich meine Töchter für zu schlau, zu sensibel und zu hellhörig, als dass eine Tür sie daran hindern könnte, unseren Ärger mitzubekommen. Und meine Wut herunterzuschlucken bis die Luft kinderfrei ist, klingt für mich so ungesund und unnatürlich wie eine Fasche Cola.

Es mag Mütter geben, die im Kreißsaal für ihre Kinder zu unfehlbaren Wesen mutieren. Ich nicht. Ich habe nicht alles – und schon gar nicht mich – immer im Griff. Manchmal rutscht mir sogar das Wort Scheiße heraus. Tja, so ist das nun mal. Ich bin auch nur ein Mensch – und dazu noch Mutter. Sprich: Latent übermüdet und an der Grenze meiner Kräfte.

Einen tieferen psychischen Schaden scheint zumindest die ältere Tochter von den elterlichen Disputen noch nicht bekommen zu haben. Auf die Frage „Was denkst du, wenn Mama und Papa sich streiten?“ antwortet sie grinsend: „Da freut sich der Dritte“.

Und überhaupt: Es wird doch immer gepredigt, Eltern sollen Vorbilder sein. Gilt das dann nicht auch fürs Streiten? Mein Freund und ich versuchen uns auf jeden Fall so nachahmenswert wie möglich zu zoffen. Wir bleiben – soweit es geht – sachlich, die Worte „nie“, „schon wieder“ und „immer“ sind tabu, Handgreiflichkeiten und Geschirrwürfe sowieso.

Außerdem nehmen wir uns jedes Mal, nachdem der Ärger verraucht ist, vor den Kindern in den Arm – und lächeln. Fand ich persönlich am Anfang irgendwie befremdlich. Ein bisschen so wie früher, als man sich im Kindergarten oder der Schule demonstrativ die Hand geben musste. Aber wenn sich die Mädchen dann vielleicht auch noch etwas davon abgucken, nehme ich die Harmonie-Inszenierung gern in Kauf.