Y – Das Magazin der Bundeswehr

Datum: 06/07 2011
Fotos: Frank Burkhard

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Genuss à la carte

An der Einmannpackung (EPa) scheiden sich die Geister. Die einen mögen sie, andere schimpfen. Die Kritiker werden aber weniger. Denn in den EPa stecken immer mehr Leckerbissen. Mittlerweile gibt es schon 19 Varianten der Tages- und Notverpflegung.

An den Burger in Tomatensauce kommt man nur heran, wenn man die Aluhülle, die ihn umgibt, mit einem Messer malträtiert, das Dosen-Schwarzbrot ist ungefähr so lange haltbar wie eine Flasche Motorenöl und zum Nachtisch gibt es staubtrockene Schokolade, die zu Verstopfung führt. Das Gegenmittel: Der beiliegende Pulverkaffee. Der Inhalt einer Einmannpackung, kurz EPa, ist nicht gerade zum Fingerlecken. Und jeder, der sich schon mal mehrere Tage lang aus dem grauen Karton ernähren musste, stellt sich wohl unweigerlich die Frage: Wer ist dafür bloß verantwortlich? Ein Asket? Ein Sadist?

Nun, Urich Lehmann ist keines von beidem. Der Ingenieur für Lebensmitteltechnologie wirkt eher so genuss- und lebenslustig wie Reiner Calmund, nur dass er keinen rheinischen Dialekt hat. Lehmann stammt aus Bremen. Auf die Frage, wie viele EPas er denn in seiner Funktion als Zuständiger für die Einsatzverpflegung schon gegessen hat, blickt er an sich herab und lacht: „Einige, das sieht man doch.“

Der 51-jährige ist seit 1989 der Herr der EPas. Er kümmert sich um Inhalt und Geschmack der kleinen Verpflegungspakete. Besuchen kann man ihn und ein fünfköpfiges Team aus Lebensmitteltechnikern und -chemikern, Molkereitechnologen und Ökotrophologen beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) in Koblenz.

Natürlich ist auch Lehmann schon zu Ohren gekommen, dass sich die EPas bei den Soldaten nicht immer uneingeschränkter Beliebtheit erfreuen. „Erbrochenes Portionsweise abgepackt“ wird die Abkürzung zum Beispiel im Bundeswehrforum übersetzt. Das Päckchen enthalte viele leckere Sachen, die der Soldat im Felde nicht nur zum Überleben, sondern auch zum Übergeben bräuchte, schlägt man sich dort weiter auf die Schenkel. Und natürlich weiß Lehmann auch, dass die Kekse aus dem EPa wegen ihrer Härte auch „Panzerplatten“ genannt werden. Dass sie mit Schuhcreme bestrichen als Grillanzünder herhalten müssen, sei aber eine Legende. Seit Frauen zur Truppe gehörten, nähme man dafür Tampons.

Sich über die geschmacklichen Qualitäten der EPas lustig zu machen, ist einfach. „Natürlich bekommt jede durchschnittlich talentierte Hausfrau das besser hin“, sagt Lehmann. „Die hat aber auch vier Herdplatten, frische Ware und sitzt nicht im Schützengraben.“ In erster Linie soll die Tagesration einen Zweck erfüllen: Die Kampfkraft erhalten, wenn weder Feldküche noch Kantine in der Nähe sind.

Dabei muss das EPa hohe Anforderungen erfüllen. Das fängt bei der Verpackung an, die jeden noch so strapaziösen Luft-, See- und LKW-Transport aushalten muss, und hört bei der mehrjährigen Haltbarkeit auf. Und so steckt in den Verpflegungspäckchen mehr Arbeit und Liebe zum Detail als man denken würde, wenn man den laffen Bohneneintopf löffelt oder so lange auf einem Hartkeks herumkaut, bis er endlich süß schmeckt.

Alle Produkte im EPa stammen von ausgesuchten Firmen, die man aus dem Supermarkt kennt. Der Fleischkonzern Herta liefert zum Beispiel Fertiggerichte, Wurstaufstrich und Obstsalat, Krüger Kaffee- und Getränkepulver. Viele Unternehmen schicken Angebotsmuster an die BWB. „Morgen sitzen hier zum Beispiel Vertreter einer Kaffeefirma. Sie wollen uns von Konzentrat überzeugen, das angeblich besser ist als Pulver“, sagt Lehmann.

Was ins EPa kommt, wird von Lehmann und dem Team in Sensoriktests genau geprüft. Der Inhalt verändert sich regelmäßig: Fertigungsverfahren werden verbessert, Zusatzstoffe rein oder raus genommen – und die Gerichte an die Zeit angepasst. Sonst gäbe es auch heute noch Schweinskopfsülze in Aspik. Was der Geschmack der Zeit ist, erfahren Lehmann und seine Kollegen unter anderem bei Akzeptanztests. Seit Jahren dabei – und unschlagbar, weil keiner etwas daran beanstandet, sind Schokolade und Hartkekse. Ein Müsli, das mit Milchpulver angerührt wird, kam bei einer kürzlich durchgeführten Befragung so gut an, dass es nun von der Gruppenverpflegung auch ins EPa wandern wird.

Dreieinhalb Jahre kann der Inhalt eines EPas ohne geschmackliche Einbußen und gesundheitliche Risiken auf jeden Fall überdauern. Die Truppe spricht bei der richtigen Lagerung sogar von einem viertel Jahrzehnt. Die Zähigkeit der Lebensmittel hat finanzielle Gründe: Die Bundeswehr muss stets eine bestimmte Anzahl Verpflegungsrationssätze auf Lager haben – während des Kalten Krieges für den Fall, dass die DDR angreift, seit 1994 für diverse Auslandseinsätzen und als Bevorratung für den Spontanfall. 50 000 Soldaten muss die Bundeswehr innerhalb von drei Tagen der Nato bereitstellen können, inklusive der Verpflegung für 12 Tage. Macht 600 000 EPas.

Für Afghanistan und andere bestehende Einsätze werden jährlich aber nur ungefähr 300 000 EPas gebraucht. Das heißt, die restlichen 300 000 Stück müsste man nach Ablauf der Haltbarkeit wegwerfen. Da sie aber mindestens drei Jahre unverderblich bleiben, werden jedes Jahr nur die verbrauchten Kartons ersetzt. „Außerdem benötigen wir den Spielraum, um flexibler reagieren zu können“, sagt Lehmann. Es dauert seine Zeit bis die EPas getestet, gepackt und zum Einsatzort verschickt wurden. Dann verzögert sich vielleicht noch ein Einsatz. Da ist ein Mindesthaltbarkeitsdatum schnell abgelaufen.

Damit Fertigmenüs, Kekse, Streichwurst fast keine Alterungserscheinungen zeigen, lassen die Hersteller bei den Produkten für die BWB zum einen kritische Inhaltsstoffe weg, wie den Milchanteil bei der Schokolade, und sterilisiert sie zum anderen zehn Mal so stark wie im Handel üblich. Beides hilft auch im Kampf gegen das Klima. Die Verpflegungssätze sollen sich schließlich auch in arktischer Kälte oder der afghanischen Sommerhitze beweisen können. Weshalb zum Beispiel eine Margarine in Tuben, die es früher im EPa gab, nicht mehr funktionierte. War es zu kalt, bekam man sie nicht aus der Tube, war es zu warm, lief sie aus. Sechs Jahre lang wurde am Institut für Lebensmitteltechnologie in Bonn für die BWB geforscht, bevor sich die Soldaten nun endlich wieder Butter aufs Brot schmieren können. Das neu entwickelte Streichfett, wird auch bei 30 Grad nicht flüssig und bleibt bei zehn Grad weich.

Häufig ist Hitze ein Problem für den Geschmack. „Wenn sie eine Tomatentütensuppe eine Woche lang im Sommer in ihr Handschuhfach im Auto legen, dann wird die Suppe daraus brandig schmecken. Auch wenn sie laut Etikett vielleicht noch monatelang haltbar gewesen wäre“, erklärt Lehmann das Problem. Gerade versucht sich seine Abteilung an einem ganz besonders schwierigen Fall: Fisch. Immer wieder habe es Anläufe gegeben, aber er ließ sich entweder nicht lange genug bei hohen Temperaturen lagern – oder kam bei den Soldaten einfach nicht an. „Unsere Klientel ist in der Masse 18 bis 30 Jahre alt – die haben es nicht so mit Fisch.“ Claresse soll nun die Lösung bringen. Die neu gezüchtete Kreuzung aus zwei afrikanischen Welsarten schmeckt nicht fischig, hält die Hitze aus und liefert viele wichtige Omega-III-Fettsäuren.

Zur Zeit liegt der Wunderfisch bei der BWB im „Brutschrank“. Auch nach sechs Wochen hält die Claresse sich trotz 44 Grad Hitze schmackhaft. Nun muss sie noch einmal dieselbe Zeit überstehen, bevor sie, verfeinert mit einer Senf-, Curry- oder Tomatensauce, in das EPa einziehen kann. Lehmann vermutet, dass es Tomate wird: „Die Soldaten stehen auf alles, was rot ist.“

Der Abwechslungsreichtum in den grauen Kartons ist ein wichtiges Thema. Vor allem seit auf der Afghanistan-Konferenz 2009 verkündet wurde, dass die Soldaten mehr „in die Fläche gehen sollen“, also häufiger auf Außenposten bleiben und Einmannpackungen essen werden. Bis dato gab es aber nur drei unterschiedliche EPa-Typen, die die Soldaten immer und immer wieder serviert bekamen. Lehmann stand vor seiner bislang größte Herausforderung stellte: In Kürze neue Varianten der „Fressware“, wie er es nennt, entwickeln.

Seit Oktober 2010 gibt es daher nun immerhin 19 verschiedene Typen mit je zwei unterschiedlichen Fertiggerichten. Neun Mal mit so genannten Nasskonserven und zehn Mal Trockennahrung. Letzteres mit dehydrierten Fertiggerichten nach Art einer Fünfminuten-Terrine. Statt Brot bekommen die Soldaten Energieriegel, statt Brotaufstrich, Weizenkeimlingskekse und Traubenzucker. Die entwässerte Version ist mit einem Kilo Gewicht immerhin 600 Gramm leichter, ein Vorteil, den vor allem die „Extremsportler“ der Truppe, die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte zu schätzen wissen.

Unter den neuen „nassen“ Fertiggerichten ist auch Lehmanns derzeitige Lieblingsmahlzeit: Hackbällchen mit Schupfnudeln. „Meine Kinder essen bei Ikea immer Köttbullar – und lieben es. Da dachte ich, das schmeckt bestimmt auch den Soldaten.“ Ein „absoluter Knüller“ sei aber auch der Linseneintopf mit Mettwürstchen.

Für ein wohliges Heimatgefühl fernab der Heimat sollen unter anderem Gulasch mit Kartoffeln, Erbseneintopf – und neuerdings auch Currywurst sorgen. Das Problem bei der Entwicklung einer einer Fertiggericht-Currywurst war die Konsistenz. „Durch das Erhitzen wurde die Wurst so weich, dass man sie lutschen konnte“, erinnert sich Lehmann. Das Max-Rubner-Institut hat im Auftrag der BWB versucht der Wurst zum Beispiel durch die Zugabe von weniger Wasser oder die Erhöhung des Bindegewebeanteils mehr Biss zu verleihen. Aber erst durch den Einsatz von Enzymen, die das Eiweiß besser vernetzen, wurde die fleischgewordene Ikone der deutschen Alltagskultur gut genug fürs EPa.

Auch die Verpflegungspakete anderer Nationen sollen das Heimweh ihrer Soldaten in Schach halten. So gibt es bei den Franzosen zum Nachtisch eine Art Mousse au Chocolat. Die Mitglieder der Forze Armate Italiane haben im Gefecht Tortellini, Makrelen in Olivenöl und Bohnensuppe all` Italiana dabei. Und die Briten nehmen ihren geliebten Plumpudding mit aufs Feld. Im amerikanischen Äquivalent zum EPa, dem MRE (Meal Ready to Eat), stecken Spare Ribs in Barbecue-Sauce, Kartoffel-Cheddar-Suppe und natürlich Erdnussbutter. Zum Aufpeppen der einzelnen Gerichte liegt eine Mini-Flasche Tabasco bei. Eine Zutat, auf die einige deutsche Soldaten neidisch sein dürften: „Was bei uns einfach fehlt, ist Würze“, sagt Hauptfeldwebel Andreas Stein, der regelmäßig in Afghanistan im Einsatz ist und in seinem Leben bereits geschätzte 200 EPas gegessen hat.

Auch in anderer Hinsicht ist Stein überzeugt vom amerikanischen Carepaket. So gibt es darin Beutel mit Granulat, das sich selbst und eine Mahlzeit erhitzt, außerdem Kaugummis mit Koffein. Wer mehr als eines davon isst, bekommt unweigerlich einen Tatterigen. Trotzdem sind auch die US-Soldaten ungnädig ihrer MRE gegenüber. Sie übersetzen die Abkürzung mit „Meal Rejected by the Enemy“ (Essen, das der Feind abgelehnt hat).

Wer unzufrieden mit dem Inhalt seiner zugeteilten Tagesration ist, sollte versuchen das Beste daraus zu machen. Andreas Stein empfiehlt zum Beispiel die Ravioli zu verfeinern, indem man den Streichkäse darüber zerlaufen lässt. „Das ist richtig lecker“, sagt er. Und aus den Hartkeksen und der Schokolade, lasse sich ein akzeptabler Kuchen machen, ein so genannter Kalter Hund. Dazu lässt man die Schokolade schmelzen und schichtet sie abwechselnd mit den Keksen zu einem Turm. „Am besten bereitet man ihn abends zu, dann ist er am nächsten morgen fest.“ Mit solchen Tricks sei das EPa in jedem Fall besser als sein Ruf, meint Stein. „Es soll gar nicht schmecken und manchmal tut es das trotzdem...“

Im internationalen Vergleich schneidet die Einmannpackung made in Germany auf jeden Fall nicht schlecht ab. Bei einem Test unter norwegischen Soldaten belegte es immerhin Platz zwei, hinter den Slowenen. Nur ihre Größe wurde beanstandet: Die Portionen waren den Männern aus dem Norden einfach zu mickrig. In ihrer vor allem aus Trockennahrung bestehende Feldration, stecken ganze 5000 Kilokalorien. Das sind 1200 mehr als im EPa.

Trotzdem kommen auch die deutschen Soldaten mit Sicherheit nicht zu kurz. Dass der Nährwert der einzelnen EPas ausreicht, die Fertiggerichte, Zwischenmahlzeiten und Getränke aufeinander abgestimmt sind, dafür sorgt die Ökotrophologin des Teams, Katja Emmerich. „Wahrscheinlich ernähren sich die Soldaten damit besser als Zuhause“, meint sie. Und selbst wenn sie mehrere Wochen ausschließlich EPas essen würden, hätte das keine negativen Folgen. Zumindest nicht für die Gesundheit.