Financial Times Deutschland

Datum: 14. Juli 2006
Fotos: Mauritius/Vidler, Markus Albers, Klaus Meinhardt

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Alcoholypse Now

So genannte Hash House Harriers hetzen querfeldein durch Bali — eine bizarre Schnitzeljagd in den Tropen, die auf gelangweilte Kolonialbriten zurückgeht. Wir sind mal mitgelaufen

Jetzt bin ich mittendrin. Mitten in den Reisterassen Balis, die man sonst nur als grüne Kulisse vom Auto aus vorbeiziehen sieht. Orientierungslos im Nirgendwo, muss ich mich entscheiden: Nach links den Hügel rauf oder rechts durch den Bach? Ich suche nach Papierstreifen, die den Weg weisen sollen. Nichts. Verzweifelt laufe ich nach links, vorbei an einer balinesischen Frau, die in einem kleinen Wasserfall ihre Wäsche schrubbt. „Tidak“, ruft sie. Und obwohl ich kein Wort Indonesisch spreche, verstehe ich, dass sich die anderen wohl durch das knietiefe Gewässer gekämpft haben.

Die anderen sind gut 100 Hash House Harriers. Jeden Samstag ziehen sie sich bunte Klamotten an, trinken jede Menge Bier und verfolgen geschreddertes Papier, das eine Strecke quer durch die balinesische Wildnis markiert. Der „Hash“, wie Eingeweihte diesen Lauf kurz nennen, ist kein Sport, sondern Weltanschauung. Es gibt obskure Rituale, strenge Regeln und den absoluten Willen zum Exzess – alkoholisch, aber auch sportlich.

Denn was die Horde im Hinterland zu bewältigen hat, ist kein lockerer Lauf. Zuerst ging es auf allen vieren einen steilen Berg hinauf, dann zwischen Kuhfladen hindurch über ein Feld, vorbei an einem Stall und einem Bauern, der verdutzt unter seinem kegelförmigen Hut von der Feldarbeit aufschaute. Wir hangelten uns an Abhängen entlang. Und dabei sind es, wie immer auf Bali, um 30 schwüle Grad und der Schweiß würde auch ohne körperliche Anstrengung fließen.

Der Boden ist vom Regen aufgeweicht und der Lauf eher ein Rutsch. Noch schlimmer wird es nach der Bach-Durchquerung. Nun glitscht es auch im Turnschuh. Ich versuche über die schwammigen Ränder der Reisfelder zu balancieren ohne die Ernte zu zertrampeln. Nicht ganz einfach. Vor allem, weil ich vor dem Hash mit den anderen schon ein Bier getrunken habe. Aus dem Augenwinkel erbliche ich ein paar nackte Jünglinge, die sich im Fluss baden. Einheimische hautnah.

Irgendwo im Nirgendwo muss ich an Dave denken. Vor ein paar Wochen hatte er seinen ersten balinesischen Querfeldeinlauf. Mit Frau und zweijähriger Tochter wanderten sie durch die Landschaft, machten ab und zu eine Rast, um den beeindruckenden Ausblick zu genießen und die Windeln zu wechseln. Dann wurde es schlagartig dunkel. Papierfetzen waren nicht mehr zu erkennen, die anderen längst wieder beim Biertrinken. Vier Stunden irrten die drei New Yorker durch die Wildnis, bevor sie das nächste Dörfchen fanden. Trotzdem ist der Computer Consultant heute wieder dabei. Diesmal mit wasserfester Taschenlampe und ohne Frau und Kind.

Ich erreiche immerhin schon nach zwei Stunden und mit ein paar anderen Hashern schweißnass und dreckverschmiert das Ziel: Einen Fußballplatz im Dörfchen Tegalalang.

Um die Anonymität zu wahren, bekommt jeder Hasher nach den ersten fünf bis zehn Läufen einen Hash-Namen. Schließlich ist nicht jeder Chef begeistert von der ungehemmten Freizeitaktivität seiner Angestellten. Je bezeichnender und je anzüglicher die neuen Namen sind, umso besser. Peter zum Beispiel heißt „Saint Titts“ (Heiliger der Brüste). Eine Anspielung auf eine Heldentat im Stripclub. Die dreckige Lache des Amerikaners und die Art und Weise wie er „Täääts“ genüsslich in die Länge zieht, lassen auf eine nicht jugendfreie Geschichte schließen.

Seit 20 Jahren ist Peter ein begeisterter Hasher. Damals ging er wegen einer Frau nach Guam und lernte den internationalen Lauftrupp kennen. Als er vor acht Jahren nach Bali kam, schloss er sich ihnen auch dort an: „Das ist die beste Art im Ausland Anschluss zu finden. Außerdem halten wir die Tradition hoch“, sagt er stolz.

Und tatsächlich weiß der ehemalige Gerichtsschreiber erstaunlich viel über die Geschichte der illustren Querfeldeinläufer. 1938 in Kuala Lumpur beschlossen ein paar gelangweilte Kolonial-Briten, einmal die Woche laufen zu gehen. Ihr Treffpunkt war ein Offiziersclub, der wegen seiner schlichten Gerichte „Hash House“ (Mampfbude) genannt wurde, erzählt Peter zwischen zwei pflichtbewusst großen Schlucken Bintang-Bier. „Die wollten natürlich ihren Kater ausschwitzen.“ Weshalb er die beiden alkoholfreien „Hash“-Ableger auf Bali auch nicht für voll nimmt.

Um die 1500 Gruppen in über 200 Ländern gibt es inzwischen, von Haiti bis Hamburg und von Melbourne bis Moskau. Wer in Bali mitlaufen will, zahlt 25000 Rupien, umgerechnet gerade einmal zwei Euro. Bier gibt’s umsonst. „Wenn mich Leute besuchen, bringe ich sie immer mit her. Und am Schluss sagen alle, das war ihr bestes Urlaubserlebnis“, sagt „Bird Balls“ Oliver, 38 Jahre alt und deutscher Architekt.

Gern bezeichnen sich die Hash House Harrier als Trinker mit einem Laufproblem. Ein Problem, dass viele ernster nehmen, als man denken würde. „Einige Leute sehen den Hash zwar als Spaziergang, aber mehr als die Hälfte wollen sich wirklich fit halten“, schätzt „Bird Balls“. Darum gibt es auch zwei Möglichkeiten: Eine kurze Strecke für die Spaziergänger und eine lange für die Marathonläufer. Wir trinken noch ein Bier und essen Saté-Spieße vom Grill als ein lautes Horn ertönt.

„Jetzt kommt eigentlich erst der wichtige Teil des Hashes. Der Circle“, sagt Yeti (Träger eines weißen Brust- und Bauch-Pelzes). Im Kreise aller werden Laufsünden bestraft, Erstlinge und Besucher willkommen geheißen oder Hasher getauft.

Zelebriert wird das alles mit so genannten „Downdowns“. Dafür muss der Becher Bier in einem Zug ausgetrunken werden. Bei Laufstrafen sitzt man dabei mit nacktem Hintern auf einem Eisblock. „Uncle Leong“, mit 86 Jahren der älteste unter den Bali-Hashern, spielt auf seiner Trompete und die Gruppe grölt: „Drink it down, drink it down, drink it down!“ Wer das Glas nicht schnell genug leer bekommt, muss sich den Rest über den Kopf schütten. Mit klebrigen, abgestanden riechenden Haaren und einem kalten Po, schreie ich „My motherhash is Bali“ in den Nachthimmel von Tegalalang und bin traurig, dass ich am nächsten Samstag nicht dabei sein kann.


Hinkommen
Ab Frankfurt nach Denpasar fliegt Singapore Airlines zweimal täglich über Singapur ab ca. 800 Euro, zzgl Steuern und Gebühren.

Wohnen
Vom „Maya Ubud Resort und Spa“ sind es zehn Minuten zum Hasher-Treffpunkt „Fly Cafe“ in Ubud, DZ ab ca. 150 Euro, www.mayaubud.com

Treffen
Übersicht aller Hash House Harriers weltweit: www.gthhh.com; Hashen auf Bali: www.bali-hash.com oder www.balihhh2.com