Emotion

Datum: 3/2018

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„Wir Frauen unterschätzen uns eben oft selbst“

Wer ein ganzes halbes Jahr gelesen hat, wird nicht unbedingt vermuten. Dass Bestseller-Autorin Jojo Moyes (31 Millionen verkaufte Bücher) eine bekennende Feministin ist. Wir haben es auch erst erfahren, als wir sie in London besuchten. Ein Klartext-Interview, das guttut

Jojo Moyes wartet in der Bibliothek des Hotels im Londoner Stadtteil Covent Garden. Über dem Kamin hängt ein Gemälde im Goldrahmen, die wuchtigen Polstermöbel sind bunt gemustert, die Vorhänge schwer. Alles very british. Es ist eines von Jojo Moyes Lieblingshotels: klein, gemütlich, persönlich. Als Frau, die viel allein reist, sei es ihr wichtig, dass sie sich in einem Hotel zuhause fühlt und man an der Rezeption ihren Namen kennt.
Schon am Abend zuvor ist die 48-Jährige von Essex angereist, wo sie mit ihrem Mann und den drei Kindern im nirgendwo auf einem Gehöft lebt. Sie war mit Freunden in der Stadt essen. Eine absolute Seltenheit. Denn seit Jojo Moyes vor fünf Jahren mit „Ein ganzes halbes Jahr“ einen weltweiten Bestseller landete, hat sie für Freunde kaum noch Zeit, arbeitet die Wochenenden durch, ist ständig unterwegs.
Die Geschichte über Louisa, die den querschnittsgelähmten Will pflegt und sich in ihn verliebt, machte die bis dahin eher erfolglose Schriftstellerin plötzlich weltberühmt. In Deutschland war das Buch 2013 der am häufigsten verkaufte Roman, Hollywood hat es sogar verfilmt. Das Drehbuch schrieb Jojo Moyes selbst.
Gerade ist das dritte Buch um die Figur Louisa erschienen, „Mein Herz in zwei Welten“, das von der Moyes-Fangemeinde sehnsüchtig erwartet wurde. Die Romane der Britin werden gern als ambitionierte Frauenliteratur bezeichnet. Und im Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass es ihr um viel mehr geht als Mister Right, Herz-Schmerz und Designerschuhe.

In Ihren Büchern spielen die Frauen Hauptrollen, die vor allem ehrlich sind, jede Menge Fehler machen und sich mehr für andere interessieren als für sich selbst oder die neuste It-Bag. Beschreiben Sie damit Ihr Frauenideal?
Ich mache mir sicherlich Gedanken darüber, welche Botschaft ich nach außen sende. Ich würde niemals ein Buch schreiben, in dem eine Frau nach einem schönen Prinzen sucht oder denkt, sie könnte sich glücklich shoppen. Ich finde es beunruhigend wie sehr besonders junge Frauen dazu angeregt werden, über ihr Aussehen nachzudenken – und sich aneinander zu messen. Ich schreibe nicht über Frauen, die sich gegenseitig fertig machen wollen.

Ist Ihnen das zu sehr Klischee?
In meinem Leben haben mir Frauen immer am meisten geholfen. Ich wurde zum Beispiel bei einer Zeitung von einer Frau befördert, während ich gerade im Mutterschutz war.

Wann haben Sie das letzte Mal eine Frau unterstützt?
Auf unserem Grundstück haben wir ein renoviertes Gartenhäuschen, das wir nie genutzt haben. Das fand ich dekadent. Jetzt stellen wir es jungen Schriftstellern eine Zeit lang zur Verfügung. Neulich ist mir aufgefallen, dass bisher alle Frauen waren. Ich denke, da hat mein Unterbewusstsein mich beeinflusst.

Bezeichnen Sie sich als Feministin?
Oh Gott, absolut! Ich kann keine Frau verstehen, die das nicht tut. Welche Frau will nicht die gleichen Rechte haben wie Männer? Ich bin stolz darauf Feministin zu sein und sehr stolz darauf, meine Tochter zur Feministin erzogen zu haben. Es ist toll zu beobachten, wie die jüngere Generation ein immer größeres politisches Bewusstsein entwickelt. Ich denke, für Frauen war das Persönliche niemals politischer als heute. Wie habe ich den Fernseher angeschrien, als Trump gewählt wurde!

Machen Sie das immer noch?
Heute setze ich meine Wut gezielter ein.

Wie genau?
Indem ich meinen Worten Taten folgen lasse: Ich kaufe keine Zeitung, die falsche, schreckliche Sachen verbreitet. Ich unterstütze Planned Parenthood (Anm. d.Red.: eine US-Organisation, die Sexualberatung anbietet) finanziell, ich unterzeichne die Petition gegen Elfenbeinjagd. Der entscheidende Punkt ist, zu handeln und sich nicht von der Verzweiflung verschlucken zu lassen. Wenn wir alle aufschreien, muss man uns zuhören.

So wie im Fall Harvey Weinstein.
Durch den Weinstein-Sexskandal müssen Männer plötzlich um ihren Status und ihren Geldbeutel fürchten. Es gibt viele Männer, die gerade schwitzen. Das wird ihr Verhalten ändern. Vielleicht denken sie jetzt zwei Mal nach, bevor sie jemanden begrapschen oder belästigen. Es ist leicht, sich hilflos zu fühlen, aber tatsächlich sind wir nicht allein. Das haben uns die Protestmärsche Anfang letzten Jahres gezeigt. Es ist wichtig, eine Stimme zu sein, die an etwas glaubt.

Hatten Sie selbst auch einen #MeToo-Moment?
Ungefähr zehn, schätze ich. Das Gute an der #MeToo-Bewegung ist, dass man angefangen hat, mit anderen Frauen darüber zu reden, wie viele dieser Ereignisse man in sich begraben hat, weil man dachte, es sei normal, als Frau so behandelt zu werden. Ich hoffe wirklich, dass diese seltsame Zeit, in der wir gerade leben und die sich auch nach Blutvergießen anfühlt, bedeutet, dass die nächste Generation von Frauen solche Übergriffe nicht mehr als normal akzeptiert.

In Ihrem neuen Buch „Mein Herz in zwei Welten“ lassen Sie Margot De Witt, eine ältere Frau, sagen, dass Frauen im Leben einfach nicht alles haben können – und lassen es unkommentiert stehen. Sehen Sie das so?
Margot De Witt ist eine Frau ihrer Zeit. Eine Zeit, in der von Frauen erwartet wurde, dass sie nach der Heirat oder spätestens wenn sie Kinder haben, ihren Job aufgeben. Die Entscheidungen, die eine Frau damals treffen musste, waren härter. Trotzdem denke ich, von echter Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt. Ich halte meine Ehe für gleichberechtigt, aber wenn ich mich umschaue, sehe ich einige Beziehungen, die es so auch in den 1950ern gegeben haben könnte. Das finde ich erstaunlich!

Heißt das, die Situation hat sich für meisten Frauen kaum verbessert?
Bevor ich Kinder hatte, habe ich nicht an grundlegende Geschlechterunterschiede geglaubt. Aber sobald man Kinder hat, merkt man schnell, dass weibliches Leben voller Kompromisse ist. Ich kenne nur sehr wenige Frauen, die es geschafft haben, gleichzeitig Karriere zu machen und Kinder zu haben.

Haben Sie eine Idee, was bei diesen Frauen anders funktioniert hat?
Sie hatten Glück bei der Wahl ihres Partners. Sie haben jemanden an ihrer Seite, mit dem sie sich die Arbeit mit den Kindern teilen. Aber tatsächlich habe ich noch nie einen Mann von Schuldgefühlen sprechen hören wie Frauen es tun: Bin ich genug für meine Kinder genug? Vermissen sie mich, wenn ich weg bin? Männer scheinen viel besser darin zu sein, diese Gedanken auszublenden.

Sie sind seit 20 Jahren verheiratet. Was ist das Geheimnis einer guten Ehe?
Ich würde niemals anderen sagen, wie sie ihre Ehe leben sollen. Ich bin noch immer verheiratet, weil mein Mann ein sehr freundlicher Mann ist. Und das wusste ich von dem Tag an, als ich ihn traf. Wenn wir uns streiten, dann streiten wir fair. Und er kann sich entschuldigen. Ich habe Freundinnen, deren Ehemänner noch nie gesagt haben: Es tut mir leid.

Sie haben drei gemeinsame Kinder und arbeiten beide. Wie geht das, Kinder und Job unter einen Hut zu bekommen?
Indem man akzeptiert, dass es Tage gibt, an denen das Essen nicht selbst¬gekocht ist und die Wäsche nicht fertig wird. Oder dass das Haus aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mein Mantra ist: Ich tue mein Bestes. Und ich behalte im Blick, was wirklich wichtig ist: Geht es allen gut, sind sie glücklich und satt? Wissen sie, dass sie geliebt werden? Ist das Haus grundsätzlich sauber und aufgeräumt? Was ich aus meinen zwanzig Jahren as Mutter weiß: Kinder interessieren sich nicht dafür, ob alles perfekt ist. Du tust einfach, was du kannst. Ich verstehe aber auch, warum viele Eltern entscheiden, dass es zu viel ist – und einer zuhause bleibt.

Bei vielen Paaren wird die Doppelbelastung, der Auslöser, sich zu trennen. Wie haben Sie es geschafft, zusammenzubleiben?
Diese Zeit ist wirklich nicht einfach. Eine Therapeutin gab mir einmal einen wirklich guten Rat und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, jedem davon zu erzählen, der kleine Kinder hat: Es ist völlig normal, seinen Partner für mehrere Jahre nicht zu mögen. Viele Paare trennen sich in dieser Phase, weil sie meinen, sie hätten nichts mehr gemeinsam, sie würden sich nicht mehr lieben. Aber die Therapeutin sagt, man muss einfach dabei bleiben und über den Punkt hinwegkommen, an dem beide immer müde und geschlaucht sind, sich ständig überfordert fühlen. Dann wird es plötzlich viel einfacher und die Dinge, die einen so gestört haben, verschwinden von allein. Und was soll ich sagen: Sie hatte absolut recht. Man kommt dadurch. Man muss nur verstehen, dass es mit den Umständen zu tun hat.

Nach „Ein ganzes halbes Jahr“ haben Ihnen Frauen geschrieben, dass sie sich wegen des Buchs von ihren Männern getrennt haben, um ein neues Leben zu beginnen. Ihre Bücher haben einen starken Einfluss.
Ja, das ist ein schöner Gedanke, finde ich. Gerade Louisa ist eine sehr menschliche Figur. Sie macht große Fehler. Aber sie ist auch offen für Veränderungen. Und ich denke, in „Ein ganzes halbes Jahr“ haben sich viele Frauen wiedererkannt, die wie Louisa einen bestimmten Punkt im Leben erreicht haben – und es ist nichts passiert. Die sich fragen: Warum bin ich hier? Was mache ich mit meinem Leben? Ich kenne Frauen, die immer noch die gleiche Postleitzahl haben, wie damals, als wir zusammen aufgewachsen sind. Ich kenne Frauen, die viel zu früh Kinder bekommen haben und seitdem feststecken. Das sind die Geschichten, die mich faszinieren. Und wenn jemand etwas aus meinen Büchern für sich herausziehen kann, dann ist das großartig.

Welche Bücher haben Sie selbst geprägt?
Ich habe als Kind wahnsinnig viel gelesen und dabei im Unterbewusstsein Lektionen mitgenommen, was ich alles erreichen kann und welche magischen Orte es in der Welt gibt. „Vom Winde verweht“ zum Beispiel. Scarlett O’Hara und ihr „Steh wieder auf, klopf dir den Staub ab, morgen ist ein neuer Tag“. Ich habe dieses bizarre Vertrauen, dass wir fast alles schaffen können, wenn wir es wirklich wollen. Frauen können das. Und ich bin überzeugt, oft unterschätzen wir uns nur selbst.