www.sandrawinkler.de / In einem unbekannten Land / 2024-04-24 05:18:20
Da kann man die Berge nochso lange herauf- und heruntergewandert sein, unter dieser Putte dauert das
Einschlafen etwas länger. Sie hängt im Zimmer D 1 des Hotels Kendov dvorec über einem riesigen Holzbett und starrt jeden Gast mit einem Blick an, als habe man ihr soeben einen Flügel ausgerissen. Das ist so gewöhnungsbedürftig wie das Hotel.
Jedenfalls im ersten Moment. Das einstige Herrenhaus steht mitten im Dorf Spodnja Idrija im Nordwesten Sloweniens, und jedes seiner elf Zimmer ist mit einem Sammelsurium aus Antiquitäten eingerichtet, die sich hier in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt haben: Massivholzschränke, Samtvorhänge, Polstersessel und Perserteppiche. Auf dem Flur stehen lebensgroße Puppen in Bauerntracht und eine Ritterrüstung. Klöppelspitze, für die Idrija berühmt ist, verziert die Nachttische, Handtücher und Bettbezüge. Fehlen eigentlich nur noch ein paar Filzschlappen – und das Museumsgefühl wäre perfekt.
„Ich möchte unsere Tradition bewahren und sie anderen näherbringen“, sagt die Hotelmanagerin Ivi Svetlik, holt das Gästebuch und zeigt stolz den Eintrag eines japanischen Paares, das bis in die slowenische Provinz gereist war.
Sie werden das Haus wohl auf der Website von Relais & Châteaux gefunden haben, einer internationalen Vereinigung privat geführter Luxushotels. Dass das Kendov dvorec dort Mitglied ist, sagt einiges aus über den Komfort des Hotels im Besonderen und über Sloweniens Nordwesten im Allgemeinen. Die Region an der Grenze zu Österreich und Italien galt mit ihrer spektakulären Landschaft, dem Nationalpark Triglav mit seinen Wildflüssen und den Hochgebirgszügen der Julischen Alpen bislang als Urlaubsziel für robuste Naturen. Wunderbar zum Wandern, Klettern und Kajakfahren, aber Unterkünfte und Gastronomie waren eher rustikal und boten allenfalls Ostcharme. Doch inzwischen gibt es eine Handvoll kleiner, eleganter Hotels und Restaurants, die nach dem Sport draußen erstklassige Erholung drinnen versprechen: ein Upgrade für den Aktivurlaub.
So wird im Kendov dvorec täglich nur ein Menü angeboten, das aber exzellent ist – und alle Zutaten kommen aus der Region. Der Kohl in der Suppe aus dem Hausgarten, die Steinpilze zur Polenta von den umliegenden Hügeln und die Forelle mit weißem Balsamico schwamm am Morgen noch im Idrijca.
Auch für Slowenien gilt: je kleiner das Volk, desto größer der Patriotismus. Dabei sind die zwei Millionen Menschen zu Recht stolz auf ihr Land, das gerade einmal so groß ist wie Hessen. Als Musterstaat unter den EU-Neuzugängen durfte es als erstes im Januar den Euro einführen, das Straßennetz ist so gut wie perfekt ausgebaut und bis auf seine rasenden Autofahrer ist Slowenien ein auffallend freundliches und friedliches Land. Selbst die Bären sollen sich von klappernden Fahrrädern vertreiben lassen.
Wälder überziehen wie ein grüner Noppenteppich die hügelige Landschaft. Dazwischen versammeln sich hin und wieder ein paar Häuser zu einem Dorf, aus dem immer mindestens eine Kirche heraussticht. Stellenweise fühlt man sich wie im Nachbarland Österreich, dann erinnern Zypressen eher an Italien und die slowenische Adriaküste.
Fährt man von Idrija weiter Richtung Nordwesten, erreicht man bald das Soča-Tal (ausgesprochen: „Sotscha“). Die Soča ist ein klarer Wildfluss in leuchtendem Smaragdgrün, mit schneeweißen Ufern aus Kieselsteinen und ideal zum Rafting und Kajakfahren. Die meisten Touren beginnen im Ort Bovec und sind – wie Klettertouren oder Paragliding – einfach vor Ort zu buchen.
Im Ersten Weltkrieg fast völlig zerstört, gewinnt Bovec sicherlich keinen Schönheitswettbewerb. Aber ein Besuch lohnt sich schon wegen des Hotels Dobra Vila (übersetzt: „gute Elfe“), eine ehemalige Telefonstation. Bereits am Empfang wird man freudig vom Mops des Hauses begrüßt. Die zwölf Zimmer, drei davon mit Balkon, sehen aus wie Puppenstuben, und von vielen hat man einen Blick auf die Berge. Der Garten ist fast ein Park, und auf der Terrasse, die zum Restaurant gehört, kann man Entenbrust in Orangensoße oder eine mit Kapern gefüllte Forelle probieren.
Wer es richtig abgeschieden mag, fährt in das nah gelegene Pristava Lepena: ein Dorf aus 13 Holzhütten auf einem Bergplateau im Nationalpark. Die Besitzer Milan und Silvia Dolenc, sie aus Uruguay, er aus Slowenien, lernten sich in New York kennen und bauten die – trotz ihrer Lage – wenig hinterwäldlerischen Häuschen mit Kaminofen und Internetanschluss. Hauptattraktion ist ein Ausritt auf einem ihrer drei Ponys oder vier Lipizzaner (Lipica, wo die Tiere erstmals gezüchtet wurden, liegt 90 Kilometer weiter südlich).
Weniger für die Möglichkeiten zum Aktivurlaub, dafür umso mehr für seine Küche ist der eine halbe Stunde entfernte Ort Kobarid bekannt. Mit Restaurants wie dem Kotlar u nd dem Topli Val wurde die Gemeinde in den vergangenen Jahren unter Feinschmeckern bekannt.
Das Highlight der Gegend ist das Hiša Franko. Das brombeerfarbene Haus liegt an der Straße von Kobarid nach Italien. Die meisten Gäste kommen wegen des Essens in das entspannte Designhotel, denn in der Küche steht Ana Roš. Die Frau des Besitzers hat sich das Kochen selbst beigebracht. Sie verwendet nur Zutaten aus der Umgebung.
Sonst lässt sich Ana Roš’ Küche nur schwer einordnen, und einige der Gäste stochern zunächst etwas skeptisch in ihren Gerichten herum. Der schwarze Turm entpuppt sich als Tintenfisch-Linguini, dazu Zucchini und Tomatencocktail. Die Schicht Wild-Carpaccio versteckt einen Orangen-Cranberry-Salat mit Meerrettich. Insofern erscheinen Gerichte von Ana Roš wie das unbekannte Slowenien: Erst nach dem Probieren weiß man, wie gut sie wirklich sind.
© Sandra Winkler
Vanity Fair 40/07
Fotos: Ditte Isager