www.sandrawinkler.de / Moderne Bodentruppe / 2024-04-26 13:55:07
Berlin im November: Vor einem Café an der Kastanienallee sitzt ein Pärchen an einem der letzten Tische, die noch nicht für den Winter weggeräumt wurden. Es ist kalt und windig, trotzdem werden noch etwas Lachs und ein weichgekochtes Ei nachbestellt, die Fell-Kapuze etwas enger gezogen und die Hände in die großen Beuteltaschen gesteckt. Ließen sich Frischluftfanatiker in der Großstadt an Tagen wie diesen bisher von den Frühstückskneipen mit Decken versorgen, haben sie jetzt endlich das passende Kleidungsstück für ihre Outdoor-Aktivitäten gefunden: den Parka.
Der hat sich als Kälteschutz längst bewährt: Schon die Eskimos in Alaska trugen eine Art Ur-Parka, ebenso Polarforscher wie Roald Amundsen. In den vierziger Jahren entdeckte die amerikanische Armee das Kleidungsstück für sich, die Bundeswehr kleidet ihre Soldaten seit je mit Parkas ein. Das bei Zivilisten so begehrte Modell, olivfarben und aus imprägnierter Baumwolle, wurde allerdings schon Mitte der Neunziger ausgemustert. Heute bestehen Bundeswehrparkas aus Goretex-Stoffen, deren Camouflage-Muster am Computer der durchschnittlichen Vegetation Mitteleuropas nachempfunden wurde.
Bevorzugt mit Cordhose, braunen Boots und Palästinensertuch kombiniert, war der alte deutsche Parka in den siebziger und achtziger Jahren provokantes Markenzeichen der Friedensaktivisten - und Schutz vor Wasserwerfern, Schlagstöcken oder der Kälte, die einem bei Sitzblockaden in die Knochen kroch. Allen voran trug den Parka Rudi Dutschke, später auch alternde Studienräte sowie Studenten mit Jutebeutel und Peace-Abzeichen, die aus Protest gegen das Modediktat der Punks und Popper Indifferenz demonstrieren wollten. Später zogen ihn Väter vielleicht noch mal zur Gartenarbeit an.
Heute sieht man das einstige Anti-Fashion-Statement in der Warteschlange vor dem angesagten Hamburger "Gum Club" ebenso wie in teuren Münchner Boutiquen, und wer in Berlin-Mitte oder dem Hamburger Schanzenviertel unterwegs ist, könnte glauben, es sei gerade eine Palette mit alten Armeebeständen vom Lastwagen gefallen: überall Menschen in halblangen Jacken mit Kapuzen und aufgesetzten Beuteltaschen. Der Parka prägt in diesem Herbst das Straßenbild. Aber wie ist er dorthin gekommen?
Einer seiner stärksten Förderer dürfte wohl Liam Gallagher gewesen sein. Der "Oasis"-Sänger trug im Video zu "Do You Know What I Mean" bereits 1997 einen Parka - ohne daß damit etwas Besonderes zum Ausdruck gebracht worden wäre, denn mit dem Liedtext hatte die Jacke nichts zu tun. Allerdings war die Boutique, in der Gallagher gerüchteweise seinen Parka erstanden hatte, kurz darauf leergekauft. Inzwischen reicht die Riege prominenter Parka-Liebhaber von Kate Moss über die Designerin Stella McCartney bis hin zur Sängerin Avril Lavigne. Jack Osbourne machte für das Exemplar mit der Deutschlandflagge auf dem Ärmel Werbung, indem er es in der Serie "The Osbournes" trug. Bundeswehrshops und Army-Surplus-Läden erlebten daraufhin eine unerwartete Blüte.
Das Hamburger Design-Kollektiv "Mägde und Knechte" gehörte zu den ersten Modeinstitutionen, die den Armee-Parka in Deutschland salonfähig machten. Bereits vor fünf Jahren bedruckten sie alte grüne Überhänger der Bundeswehr mit Sprüchen wie "Bis einer heult" oder "Liebe will riskiert werden" in Kombination mit dem Konterfei des Dalai Lama. "Wir wollten das Böse, sprich die Bundeswehr, auf gut stylen", lautet die etwas naiv klingende Erklärung Christina Antonczyks von "Mägde und Knechte" für das "moderne Recycling". Inzwischen hängt die Mode-Poesie im Kölner Museum für angewandte Kunst - in Antonczyks Laden allerdings nicht mehr.
Denn der Military-Look befindet sich eigentlich schon wieder auf dem Rückzug, inzwischen ist eine neue Parka-Ära angebrochen. Bei den aktuellen Schauen schickten Marc Jacobs und Prada ihre Models im Mod-Style über den Laufsteg. Die Protagonisten der britischen Jugendbewegung Mod (von "modernists") aus den Sechzigern trugen eng geschnittene Hemden, schicke Anzüge - und darüber einen Parka, der dafür sorgte, daß die guten Sachen auf der Vespa nicht dreckig wurden. Die "New York Times" etwa empfahl ihren Lesern kürzlich die Entwürfe von Ben Sherman. Die Hemden dieses britischen Männer-Labels waren 1964 so etwas wie eine Zugangsberechtigung für den Club der Mods. In diesem Herbst hat Sherman seinen "Old School"-Parka neu aufgelegt. Das Besondere: der sogenannte Schwalbenschwanz - die Rückenpartie ist länger als gewohnt und außerdem geschlitzt.
Aber auch andere Designer haben den Parka neuerdings hochgerüstet: Boss veredelt ihn mit echtem Kaninchenfell, Patrizia Pepe verwendet glänzende Stoffe, Calvin Klein verfremdet ihn mit Jeans und Cord. Und Jil Sander zeigte einen schwarzen Parka aus Satin. "Dank der Initiative einiger Modedesigner ist er endlich auch seine schlammgrüne Farbe losgeworden", freut sich Modehistorikerin Ingrid Loschek. Mittlerweile gibt es ihn nicht nur in Schwarz, sondern auch in Weiß, Braun und Petroleumblau. Dolce & Gabbana und die belgische Designerin Véronique Leroy hingegen spielen nicht nur mit Stoff und Farbe, sondern auch mit der Form - oder besser gesagt mit den Ausmaßen: In ihren Oversize-Parkas sieht man aus, als würde man gerade vergeblich versuchen, ein Zelt aufzubauen.
Trotz aller modischen Metamorphosen bleibt der Parka aber vor allem eines: praktisch. Besonders zu Herzen genommen hat sich diesen Grundsatz das Unternehmen Strellson. Dessen windundurchlässiger und wasserabweisender Parka "Swiss Cross", der auf 3000 Exemplare limitiert ist, wurde mit einem original Schweizer Taschenmesser ausgestattet. Als Futter fanden alte Wolldecken der Schweizer Armee Verwendung, die auch bei Minusgraden warm halten - und wie das Innenfutter bei allen guten Parkas heraustrennbar sind. Allerdings sollte man sich von den Extras nicht allzusehr beeindrucken lassen: "Manche Details am Parka sehen aus, als würden sie eine Funktion erfüllen, obwohl es sich um reine Dekoration handelt", sagt Roland Müller-Neumeister von der Meisterschule für Mode in München. Zumindest für den Nahkampf am Frühstücksbuffet ist man im Parka aber allemal gut gerüstet.
© Sandra Winkler
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 9. November 2003