www.sandrawinkler.de / Mit ganzem Einsatz / 2024-04-24 23:28:20
Hinterher! Benno Fürmann rast mit seinem Fahrrad durch die Straßen von Berlin-Charlottenburg. Ihn im Auto zu verfolgen verlangt Konzentration. Der Schauspieler hat es eilig und tritt in die Pedale. Schließlich geht es hier um sein neues Handy, das er gerade in einer Kneipe liegengelassen hat. Das Interview muß warten; neuer Treffpunkt: Savignyplatz.
Mit verschränkten Armen, ein paar Schweißperlen auf der Stirn und dem wiedergefundenen Mobiltelefon sitzt Fürmann unter der hellblauen Markise vor dem "Hefner", einer Kneipe mit Lorbeerpflanzen in Steintöpfen und Teelichtern auf den Tischen. "Siehste", sagt Fürmann, "so etwas passiert, wenn man eine Tochter hat, die einen um halb sieben Uhr morgens weckt." Der Einunddreißigjährige ist vor elf Monaten Vater geworden - ein sehr glücklicher, wie er beteuert, und ein sehr stolzer, wie man sehen kann: Am Schlüsselbund baumelt ein Anhänger mit dem Bild der "sonnigen" Tochter Zoe. Im gerade erst erstandenen Fotohandy steckt schon der nächste Bilderschub.
Zoe hat das Leben des Schauspielers umgekrempelt. "Ich habe immer viel Wert auf meine Unabhängigkeit gelegt, und im ersten halben Jahr meiner Tochter habe ich mich oft gefragt: Wo bleibt denn da der andere Benno?" Zu Hause, lautete die Antwort zunächst einmal: Der einsame Wolf, der früher gern monatelang allein durch die Welt reiste, legte nach der Geburt eine Babypause ein, wechselte Windeln und zog sich mit Freundin Steffi zurück, mit der er seit drei Jahren zusammen ist. Im vergangenen Jahr hat er kaum gearbeitet und sich auf keiner einzigen Premierenfeier blicken lassen.
Doch nun ist Fürmann wieder im Kino zu sehen: Seit Donnerstag läuft "Wolfsburg" (Regisseur: Christian Petzold) mit Fürmann und Nina Hoss in den Hauptrollen. Der Film erzählt die Geschichte des Autoverkäufers Phillip (gespielt von Fürmann), der ein Kind anfährt und Fahrerflucht begeht. Nachdem der Junge stirbt, verliebt sich der Täter in die trauernde Mutter (Nina Hoss) und schafft es nicht, ihr seine Schuld zu gestehen. "Wolfsburg" ist ein sehr minimalistischer Film, der nur das Nötigste erzählt und wenige Dialoge braucht. Das gefiel Fürmann.
Ein Mann großer Worte ist er in seinen Rollen nie: "Ich verzichte gern auf einen Satz, wenn ich ihn durch einen Blick oder eine Geste ersetzen kann", erzählt er. Bekannt wurde der gebürtige Berliner zunächst durch seine Rolle als Mustang fahrender Ruhrpott-Proll Günni in der RTL-Serie "Und Tschüss!" sowie als Halbstarker in diversen TV-Krimis. Til Schweiger engagierte ihn als Kleinkriminellen für sein Regiedebüt "Der Eisbär" mit den Worten: "Du hast so eine tolle Fresse." Und Tom Tykwer fand in Fürmann die ideale Besetzung für den vom Tod seiner Frau traumatisierten Ex-Soldaten Bodo in "Der Krieger und die Kaiserin". Mit seiner kraftvollen Darstellung des jungen Boxhelden Gustav Scholz in "Die Bubi Scholz Story" rückte er 1998 vor in die erste Riege deutscher Nachwuchsschauspieler.
"Ich habe eine große Affinität zu Charakteren, die eine Portion Unglück mit sich tragen, die aus der Schablone der Normalität herausfallen, und das hat sicherlich auch private Parallelen", stellt Fürmann fest. Seine Mutter starb, als er sieben Jahre alt war, seinen Vater verlor er mit 15. Mehr will er in Interviews zu diesem Thema nicht sagen: "Das gehört hier nicht hin." In der zehnten Klasse blieb Fürmann sitzen, und weil ihm Logarithmen und Jahreszahlen hinderlich schienen, um mit sich selbst klarzukommen, verließ er das Gymnasium mit dem erweiterten Hauptschulabschluß.
Danach zog der Mann, von dem Franka Potente sagt, er küsse besser als Johnny Depp, durch den Nachtsumpf und durchlebte seine "heiße Berliner Zeit", die mit einer Schädelfraktur von zehn Zentimetern, einem zerschmetterten Jochbein und drei gebrochenen Wirbeln endete. Beim S-Bahn-Surfen war er betrunken gegen einen Metallpfeiler geprallt. "Der finale Gong", sagt Fürmann, der ihn zurück auf die Schulbank trieb. Auf einem Internat in Oberkassel holte er die mittlere Reife nach und hatte erst einmal genug von der Institution Schule: "Gerüstbauer war damals mein Traumberuf", sagt er, und man glaubt es ihm. "Nicht auf lange Sicht. Aber ich habe mein Leben nie auf lange Sicht geplant." Nur bei der Schauspielerei, da war er sich immer sicher - schon als er das erste Mal auf der Bühne des Schultheaters stand.
Parallel zur Arbeit auf dem Bau, in einer Diskothek und als Kulissenschieber nahm er Schauspielunterricht in privaten Kursen. Irgendwann wurde die Harley verkauft. Mit dem Geld meldete sich Fürmann 1992 am renommierten Lee Strasberg Theatre Institute in New York an.
Während Fürmann begeistert erzählt, wie er sich in Amerika einen Plymouth Road Runner für 500 Dollar kaufte "'ne Gurke, sah aber tierisch aus - goldenmetallic, sechs Meter lang", und beschreibt, wie mitten in der Wüste die Kardanwelle abfiel, stößt er beinahe sein Bierglas um - was ihm heute nicht das erstemal passiert. Benno Fürmann erzählt mit ganzem Körpereinsatz. Und wenn er sich nach vorn beugt, um den Zeigefinger auf die Tischplatte zu drücken, oder sich dem Zuhörer seitlich entgegenlehnt, hat man das Gefühl, er könne jeden Moment zu einem freundschaftlichen Schulterschlag ausholen.
Fürmann ist ein Kumpeltyp, der sein Gegenüber so schnell wie möglich duzen möchte, der sich unterbricht, um einem auf dem Rad vorbeifahrenden Freund hinterherzubrüllen oder um kurze Kommentare über Passanten abzugeben. Über einen Mann mit einem zu engen rosa Hemd freut er sich besonders, genauso wie über die Frauen am Nebentisch, die sich gegenseitig ihre Einkäufe zeigen.
Manchmal hält Fürmann aber auch inne, schaut ins Leere und macht eine auffallend lange Pause - um dann betont Bedeutungsschwangeres zu sagen, wie: "Es gibt so viele Kinder auf dieser Welt, die leiden, es gibt so viel Unrecht Tag für Tag, es gibt Folter, es gibt Waldbestände, die abgeholzt werden. Es gibt genug Steine, die es zu bewegen gilt." Vielleicht ein Rudiment aus seiner "aktiven Zeit" im Berliner Multikultistadtteil Kreuzberg - dort ist Fürmann zwischen Dönerbuden und Antifa-Bewegung groß geworden: "Ich hab' zwar nicht die Barrikaden angezündet. Aber ich war auch nicht im Blümchenstreuer-Block", faßt er seine Demonstrationserfahrungen zusammen. Damals trug er noch lange, fettige Haare, einen Totenkopfring und Nieten in der Lederjacke.
Heute wohnt Fürmann mit seiner Freundin, für die er sogar das Rauchen aufgab, im ruhigen, bürgerlichen Charlottenburg: "Weil ich die heile Welt hier mittlerweile schätze." Und vor kurzem hat er seine ersten Tennisstunden genommen.
Ungeachtet des Sports und der etablierten Wohngegend klingt Benno Fürmanns Stimme immer eher nach Ben Becker als nach Sky Dumont: ein wenig nölig, leicht gnatzig und irgendwie heiser. Er kaut Kaugummi, ab und an zieht er beim Sprechen kurz die Nase hoch. Zwischendurch lacht er kurz und dreckig. Wer nur Fürmanns Stimme hört, kann sich einen breitbeinig dasitzenden Typen im Muskelshirt vorstellen. Sein Erscheinungsbild ist jedoch ganz anders: Fürmann trägt ein fliederfarbenes Baumwollhemd mit verdeckter, bestickter Knopfleiste und hellgraue Wildlederschuhe. Die kurzen Haare sind akkurat nach oben gegelt, das Loch in seinem linken Ohrläppchen ist längst zugewachsen. Sein Gesicht hat weiche Züge, so weich, daß Regisseur Tom Tykwer bei den Dreharbeiten seinen Hauptdarsteller aufforderte: "Es ist alles so glatt bei dir, laß dir einen Bart wachsen." Den trägt Fürmann nun schon seit drei Jahren.
In seinem neuesten Film "Sin Eater - die Seele des Bösen" verhilft ihm der Bart zu einem eher dämonischen Aussehen. Und das braucht er für diese Rolle: Immerhin spielt der Berliner in seiner ersten großen Hollywood-Produktion an der Seite des Australiers Heath Ledger ("Ritter aus Leidenschaft") den "Sin Eater", ein 500 Jahre altes Wesen, das Menschen frißt, um sie von ihren Sünden zu erlösen. Über die Bedingungen bei den Dreharbeiten am Set in Rom sagt Fürmann: "Natürlich ist das spektakulär, natürlich macht das Spaß." Ein Millionenbudget erlaubt eben größere Wohnwagen und Extravaganzen. Als klar war, daß man nicht im Petersdom drehen könne, wurde dieser kurzerhand nachgebaut.
Trotzdem: Von einem Umzug nach Amerika, wie es die Kollegen Franka Potente und Til Schweiger vorgemacht haben, will er zunächst einmal nichts wissen. Nur weil er für Amis vor der Kamera stehe, müsse er schließlich nicht gleich selbst zum Amerikaner werden - auch wenn es seinen Agenten dort sicherlich freuen würde, ihn bei Castings häufiger in der Nähe zu haben. "Ich bin aber gerade in Berlin zu Hause. Ich fühle mich irgendwie deutsch - als jemand, der hier seine Wurzeln hat."
Und wenn es Fürmann zu eng wird in Deutschland, in seiner Charlottenburger Wohnung, dann bricht er aus. Wie vor kurzem, als er einen "Rappel" bekam, wie er es nennt, und für dreieinhalb Wochen allein durch Indien reiste. Zehn Tage sei er in Meditation versunken gewesen und habe sein Schweigegelübde gehalten. Da war er wieder, der andere Benno, der sich vielleicht nicht mehr so wild wie ein Wolf, aber immer noch einsam durch die Zeiten schlägt.
© Sandra Winkler
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 28. September 2003