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Datum: 8/2006
Fotos: Miroe

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Bugatti für die Backe

Die neue "ultraluxuriöse Premiumpflege" ist der Hoffnungsträger im stagnierenden Markt der Faltenglätter — für die Industrie ebenso wie für betuchte Kundinnen. Aber wirken die teuren Cremes tatsächlich besser?

Die Formel könnte aus einem Harry-Potter-Roman stammen: Man ernte die Triebe jungen Seetangs aus dem Meer vor San Diego bei Vollmond und lasse sie 120 Tage lang reifen. Dabei beschalle man sie mit sphärischen Klängen und versetze sie mit dem Extrakt von Narzissenzwiebeln und Meeres-Petersilie. Das Ergebnis, angereichert mit so genannter Miracle Broth (Wunderbrühe), fülle man in drei algengrüne Ampullen - und verkaufe es als Gesichtscreme für 2100 Euro.

Einen solch stolzen Preis muss zahlen, wer sich die Drei-Wochen-Kur "The Essence" von La Mer aus dem Hause Estée Lauder gönnen will. Das Geschäft mit der Zaubertinktur läuft nach konzerneigenen Angaben besser als erwartet: In den ersten zehn Wochen wurden allein in Deutschland 300 Stück von "The Essence" verkauft. Und schon liegen die ersten Nachbestellungen von Kundinnen vor, welche die 2100-Euro-Kur wiederholen wollen.

Luxuskosmetika wie "The Essence", deren Anwendung pro Tag fast so viel kostet wie vier Flaschen Champagner, sind die Spitze eines wachsenden Nischenmarktes, in dem immer mehr Cremes einen dreistelligen Preisbereich erreichen: Für 30 Milliliter, also etwa eineinhalb Schnapsgläser, von Clé de Peau Beautés "La Creme" beispielsweise sind 450 Euro fällig. Immerhin 50 Milliliter für 500 Euro bekommt man von La Prairies "Cellular Radiance Cream". Genauso viel verlangt Estée Lauder für "Re-Nutriv Re-Creation"; und für "Sensai Premier The Cream" von Kanebo sind 580 Euro pro Döschen fällig. Ganz eigen gibt sich die Pflege "PCS" (Personal Cosmetic Science) der japanischen Firma Menard: Sie wird nach einer Hautanalyse individuell gemischt. Für 600 Euro.

Beim Parfümerie-Riesen Douglas ist der Boom der Luxusschmieren inzwischen konkret messbar: Der Verkauf von Cremes, die mehr als 100 Euro kosten, hat im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2004 um 23 Prozent zugelegt. Hersteller wie Händler profitieren von Kundinnen, die fest daran glauben, ihrer Haut mit dem kleinen kostbaren Klecks das Bestmögliche zu gönnen.

Kanebo, Estee Lauder und andere rechtfertigen den Preis ihrer Produkte nicht nur mit teuren Zutaten, sondern auch mit langen Forschungszeiten. An ihrer "Cellular Radiance Cream" bastelten die Wissenschaftler der Schweizer Marke La Prairie angeblich sechseinhalb Jahre. Jetzt soll das Mittel in der Lage sein, Hormonverluste auszugleichen, die Haut zu festigen und das Gesicht dank reflektierender Pigmente, Flüssig- und Quarzkristalle zum Strahlen zu bringen. "Um die Wirkungsweise zu erklären, müsste man eine kleine Doktorarbeit vorausschicken", behauptet Sven Gohla, ein Entwickler bei La Prairie International. "Doch ob eine Creme nun 1000 oder 350 Euro kosten muss, ist letztlich eine Frage der Bedarfs- und Marktpositionierung", fügt er hinzu.

Wem die Fakten nicht reichen, der wird durch märchenhafte Rezepte betört: "In der Re-Nutriv Re-Creation" verwenden wir Raritäten, die sich nur ein- bis höchstens zweimal im Jahr in einem sehr kostspieligen Prozess ernten lassen", erklärt Daniel Maes, Forschungsleiter im Estée-Lauder-Labor. Die Creme enthalte einen aus hawaiianischem Tiefseewasser gewonnenen Mineralstoff-Mix, der bis zu 13 000 Euro pro Kilo kostet.

Ähnlich mirakulös liest sich die Entstehungsgeschichte von La Mer: Vor vielen Jahren erlitt der inzwischen verstorbene Raumfahrt-Physiker Max Huber bei einer Explosion von Raketentreibstoff schwere Verbrennungen. Narben entstellten sein Gesicht. Da die Mediziner nicht weiterwussten, wollte er sich selbst helfen. Zwölf Jahre und 6000 Versuche später hatte er die "Crème de la Mer" erfunden, die angeblich nicht nur seine Narben verschwinden ließ, sondern auch wie ein Jungbrunnen wirkte. Dabei haben ihre Zutaten wenig Übernatürliches an sich, zu ihnen gehören Seetang, Magnesium, Eisen, Öle von Zitrusgewächsen, Eukalyptus und Weizenkeime.

Hautärzte wie Gisela Albrecht bezweifeln, dass teure Luxusprodukte wesentlich effektiver sind als Cremes aus Drogerie und Supermarkt. "Ob die Wirkstoffe überhaupt eine anhaltende Verjüngung der Haut erzielen, ist nicht bewiesen", sagt die Chefärztin der Klinik für Dermatologie in Berlin-Spandau. Die Wirkung von Inhaltsstoffen werde lediglich im Reagenzglas getestet. Und dass die Haut nach dem Auftragen einer Lotion messbar glatter wird, liege, so Albrecht, vor allem an Fett und Feuchtigkeit, welche das Gewebe aufpolstern.

Grundsätzlich gilt für alle Cremes: Laut Gesetz darf Kosmetik nur auf der Oberfläche wirken. Dringt sie in tiefere Hautschichten ein, wäre sie ein nicht frei verkäufliches Arzneimittel, das eine teure Zulassung brauchte. "Die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf Falten ist also sehr begrenzt", sagt die Hautärztin Albrecht. So groß wie die Preisdifferenz könne der Unterschied in der Wirkung gar nicht sein.

Trotzdem soll die "ultraluxuriöse Premiumpflege", wie das Nischensegment im Fachjargon heißt, in Zukunft wohl noch teurer werden: "Man wird immer wieder versuchen, eine Grenze zwischen den Habenden und den Möchtegerns zu ziehen", prophezeit Jacqueline Otten, Trendforscherin aus Zürich. Cremes für 200 Euro reichten nicht mehr aus, um sich abzuheben.

Dem pflichtet Sven Gohla von La Prairie gern bei: "Ich vergleiche Luxuskosmetik mit dem Automarkt. Natürlich können Sie mit einer Ente von A nach B kommen. Aber ein Bugatti ist schneller und hochwertiger verarbeitet."

Andererseits: Vom Gegenwert des Fahrspaßes mit einem Bugatti könnte man sich 500 Jahre Cremevergnügen gönnen.